[Inhalt] [Biofilmographie] [Credits]
[über den Film]
Inhalt
"Freitag, 11. Juli 1941. Das Wetter ist schön. Es weht ein
warmer Wind. Der Himmel ist nur leicht bewölkt. Vom Wald her
hört man Schüsse."
Mit diesen Worten beginnt das Tagebuch von Kazimierz Sakowicz, einem
Polen aus Ponar, einem kleinen Dorf zehn Kilometer westlich von
Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Zwischen 1941 und 1944 wurden hier
mehr als einhunderttausend Menschen umgebracht, zum größten
Teil Juden. Sakowicz hörte die Schüsse und wusste, dass ganz
in der Nähe etwas Seltsames geschah. Er beschloss, heimlich alles,
was er hörte und sah, aufzuschreiben. Insgesamt dokumentierte er
835 Tage des Genozids. Ausgehend von Sakowicz Tagebuch berichtet
OUT OF THE FOREST von Menschen, die in unmittelbarer Nähe eines
Massenhinrichtungsplatzes lebten. Zu ihnen gehörte ein junges
Mädchen, deren Kühe auf den offenen Gräbern weideten,
eine Frau, die gezwungen wurde, für die Mörder zu kochen, ein
Mann, der mit den Kleidern der Toten Handel trieb, und eine weitere
Frau, die sich weigerte, einen Gefangenen in ihr Haus zu lassen, der
wenige Minuten zuvor der Exekution entkommen konnte. Der Film ist auch
eine Geschichte über Nachbarschaft und Gemeinwesen in schlechten
Zeiten; eine Geschichte darüber, wie grundlegend unterschiedlich
die jeweiligen Bevölkerungsgruppen (Polen, Litauer und Juden) die
schrecklichen Vorkommnisse wahrgenommen haben und wie heute, sechzig
Jahre später, niemand die Verantwortung für das Geschehene
übernehmen will und jeder die Schuld bei den Anderen sucht.
Der Film ist wie eine Collage konstruiert und besteht aus Berichten der
Anwohner, aber auch der Opfer, die wie durch ein Wunder dem Tod in
Ponar entkommen konnten, sowie Auszügen aus dem Tagebuch und
Aufnahmen des heutigen Ponar. Der Film enthält weder
Archivaufnahmen noch Bilder von Leichen oder Blut. Mit vorsichtigen
Interviews und einer unaufdringlichen Kameraführung gelingt es dem
Film, hinter die dünne Fassade des Dorfes zu schauen.
zurück nach oben
Biofilmographie
Yaron Kaftori Ben Yosef
wurde am 24. Juni 1963 in Haifa geboren. Von 1987 bis 1990 studierte er
Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität von Tel Aviv.
1994/95 absolvierte er ein Geschichtsstudium ebenfalls an der
Universität von Tel Aviv. Seit 2001 arbeitet Yaron Kaftori Ben
Yosef als Produzent. 2002 gründete er einen unabhängigen
Filmverleih für israelische Spielfilme. Yaron Kaftori Ben Yosef
schreibt außerdem Drehbücher. OUT OF THE FOREST ist sein
Regiedebut.
Limor Pinhasov Ben Yosef wurde
am 4. Oktober 1972 in Tel Aviv geboren. 1992/93 studierte sie
Kunstgeschichte, Philosophie und Französisch an der Sorbonne in
Paris. 1996 schloss sie ihr Regiestudium an der Sam Spiegel Filmschule
in Jerusalem ab. Seit 1998 arbeitet Limor Pinhasov Ben Yosef als
Cutterin. Ihr erster eigener Film, Sophie Calle in Jerusalem, entstand
1999. OUT OF THE FOREST ist ihr erster abendfüllender Film.
Filme
1999: Sophie Calle in Jerusalem. 2001: Holiday Flowers. 2003: OUT OF THE FOREST.
zurück nach oben
Credits Mekivun hayaar
Land: Israel 2003
Produktion: Cicero Films Productions, Noga TV, IFS
Regie: Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef
Buch: Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef,
nach dem Tagebuch von Kazimierz Sakowicz.
Recherche, Übersetzung aus dem Litauischen: Saulius Berzinis
Kamera: Eithan Haris
Ton: Maxim Segal
Musik: Mystaria Sound Group
Schnitt: Limor Pinhasov Ben Yosef
Produzenten: Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef
Format: 35mm, 1:1.66, Farbe
Länge: 93 Minuten, 24 Bilder/Sek.
Sprachen: Russisch, Polnisch, Litauisch, Hebräisch, Englisch
Uraufführung: 4. Juli 2003, Internationales Filmfestival Jerusalem
Verleih: Freunde der dt. Kinemathek
Webseite: www.outoftheforest.net
Pressematerial: www.kinopresseservice.de
zurück nach oben
Die Regisseure über ihren Film
Wir sind in Israel aufgewachsen, in einem Land, in dem
Berichte über die Gräuel des Holocaust Teil unseres
täglichen Lebens sind. So mag es erstaunen, dass es nicht das
Massaker von Ponar war, das unsere Aufmerksamkeit als Erstes auf sich
zog.
Für uns war es im Wesentlichen die Geschichte dieses Mannes, der
alles dokumentierte, der an seinem Fenster sitzend akribisch notierte,
beschrieb und beinahe gefühllos die zahllosen Hinrichtungen
auflistete, die hinter seinem Haus begangen wurden.
Was bringt einen Menschen dazu, so etwas zu tun? Zuerst wollten wir
seinen Charakter näher betrachten und herausfinden, was für
ein Mensch dieser Sakowicz gewesen sein könnte. Woher kam er? Was
wollte er mit diesen Aufzeichnungen erreichen?
Aber je mehr wir herausfanden, je mehr Menschen wir trafen, desto
klarer wurde uns, dass hinter dieser Sache viel mehr steckte als nur
das, was dieser eine Mann getan hatte. Wir fühlten, dass Sakowicz
trotz seiner lakonischen und technischen Aufzeichnungen uns nicht nur
über das Massaker informieren, sondern auch sich selbst, seine
Nachbarn und die Stimmung der damaligen Zeit beleuchten wollte. Der
Film verknüpft das unfassbare Massaker und die unbegreiflichen
Erzählungen der Menschen, die Zeugen der Massenhinrichtungen waren
und dabei ihr normales Leben fortsetzten. Nachdem wir das Tagebuch
gelesen hatten, stellten sich uns viele Fragen, die nach unserer
Einschätzung nur die Leute aus Ponar beantworten konnten.
Zunächst befürchteten wir, dass die älteren Bewohner des
Dorfes unseren Fragen nur sehr zurückhaltend gegenüberstehen
und uns als Fremde betrachten würden, die alte Wunden öffnen
wollten und sie beschuldigen würden. Wir dachten, dass
sie wie die jungen Israelis, die die alten
Holocaust-Erinnerungen manchmal lästig finden nur
äußerst ungern die alten Geschichten wieder hervorkramen
würden, mit denen sie über ein halbes Jahrhundert gelebt
hatten.
Doch die Reaktionen der Menschen in Ponar waren ganz anders als
erwartet. Die älteren Bewohner Ponars waren vollkommen ruhig. Wir
hatten den Eindruck, als wären wir die Ersten, die sie nach ihren
persönlichen Geschichten befragten, die Ersten, die ihnen
zuhören wollten. Ganz offensichtlich hatte man sie in den
fünfzig Jahren der Sowjet-Herrschaft kein einziges Mal nach ihren
Gefühlen und ihrer Meinung über die Vorkommnisse von Ponar
gefragt. Diese Menschen schienen unbedingt über ihre Gefühle
reden, ihre Version der Geschichte berichten, und vielleicht sogar
Taten beichten zu wollen, die sie nach dem Krieg nicht zugeben mochten.
Während der Dreharbeiten wurde uns klar, dass die Menschen in
Ponar zum ersten Mal nach sechzig Jahren über ihre wahren
Gefühle reden wollten.
Zu Beginn der Dreharbeiten untersuchten wir, wie die Bevölkerung
von Ponar mit der Erinnerung an die Geschehnisse umgeht. Wir
stießen auf Verleugnung, Schuld, Unterdrückung. Ihre
Reaktionen ähnelten denen der Überlebenden des Holocaust,
deren Wunden nicht verheilt sind und die unablässig versuchen, die
Erfahrungen erneut zu durchleben. Man hatte den Eindruck, dass die
Leute von Ponar sich mit vielen unbeantworteten Fragen
auseinandersetzen, und dass ihre Verzweiflung mit fortschreitendem
Alter wächst. Die vergangenen sechzig Jahre hatten keinen von
ihnen dazu gebracht, persönliche Verantwortung zu übernehmen:
Die Polen beschuldigen die Litauer, die Litauer die Russen, die Russen
wiederum die Polen und so weiter. (...) Für gewöhnlich stehen
die Holocaust-Überlebenden und ihre grauenhaften Erlebnisse im
Zentrum der Aufmerksamkeit, oder die Auswirkungen ihrer Erfahrungen auf
die zweite oder gar die dritte Generation ihrer Nachfahren. Wir wollten
jedoch die Rolle der angeblich passiven Zeugen und die kumulative
Wirkung der Ereignisse auf die Bewohner untersuchen.
Ab diesem Moment begann der Film eine universelle Form anzunehmen. Was
ist die korrekte Art und Weise, sich mit diesen Ereignissen
auseinanderzusetzen? Wer entscheidet das? Ist es ebenso abscheulich,
Zeuge eines unmenschlichen Unrechts gigantischen Ausmaßes zu sein
und nicht einzugreifen, wie an diesem Unrecht teilzunehmen? Diese
Fragen führten uns zwangsläufig zu der Frage aller Fragen:
Was hätten wir in dieser Situation getan? Welche Maßnahmen
ergreifen wir heute? Instinktiv sagen wir uns, dass uns so etwas nie
hätte passieren können. Wir hätten Stellung bezogen und
etwas gegen diese schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der
Menschheit unternommen. Vielleicht ist das so. Aber was ist mit den
kleineren Verbrechen? Was tun wir, wenn es unserem Nachbarn nebenan
schlecht geht? Oder dem Nachbarn auf der anderen Straßenseite?
Oder den Menschen in unserem Nachbarstaat oder auf unserem
Nachbarkontinent? Gibt es Abstufungen bei den Verbrechen der
Gleichgültigkeit anderen Menschen und ihren Leiden gegenüber?
Gibt es eine Rechtfertigung? Gibt es eine Rechtfertigung für eine
Frau, die einen um sein Leben flehenden Flüchtling nicht in ihr
Haus gelassen hat?
Im Verlauf unserer Recherche gab es Stimmen, die meinten, dass
Sakowicz, der Autor des Tagebuchs, Mitglied der polnischen
Untergrundbewegung Armia Krajowa oder dass das Tagebuch
nichts anderes als ein ganz gewöhnlicher Geheimdienstbericht war,
in dem Aktionen, Strategien, Taktik etc. dargelegt werden. Vielleicht
ist das so. Unserer Meinung nach war diese Form der Aufzeichnung auch
Sakowicz Art, mit dem Leben in jenen Tagen zurecht zu kommen.
Ähnlich war es wohl mit dem Lachen von Regina, der Wut von Jelena
und dem Weinen von Leonarda.
Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef
zurück nach oben
|
|