RR ein Film von James Benning | [Inhalt] (Credits] [über den Film] [über James Benning] [Pressezone] |
![]() | InhaltDer Film besteht aus dreiundvierzig Aufnahmen unterschiedlicherGüterzüge in den USA. Die Länge der einzelnen Einstellungen richtet sich nach der Zeit, die der jeweilige Zug benötigt, um das Filmbild zu durchqueren. Benning inszeniert überwältigende Landschaftspano- ramen und spielt in jeder fixen Einstellung mit visuellen Reizen, die durch den permanenten Wechsel zwischen Enthüllung und Kaschierung des Raums hervorgerufen werden. Die Landschaft scheint überwiegend als Hintergrund für Bennings lebenslange Leidenschaft für die Eisenbahn zu dienen. Auch in diesem Film gelingt es ihm, die Bilder des Films mit der geografischen, sozia- len und politischen Geschichte in Verbindung zu bringen. Sechs Ton- fragmente, die aus der Umgebung der Einstellung zu stammen schei- nen, ziehen sich durch den Film: Ein Mormonenchor singt ‘The Battle Hymn of the Republic‘, man hört die Übertragung eines Baseballspiels von 1992 zusammen mit einem Coca-Cola-Werbejingle (gesungen von Karen Carpenter) aus dem Jahr 1970, Gregory Peck liest aus der Of- fenbarung des Johannes, Woody Guthrie singt ‘This Land is Your Land‘, es folgt Eisenhowers Abschiedsrede aus dem Jahre 1961, in der er vor dem Schulterschluss zwischen Militär und Industrie warnt, und zum Schluss hört man ‘Fuck tha Police‘ der Hip-Hop-Band N.W.A. Aus: Barbara Pichler, Claudia Slanar (Hrsg.): James Benning. Filmmuse- umSynemaPublikationen, Vol. 6. SYNEMA-Publikationen (Wien) 2007 [Inhalt] (Credits] [über den Film] [über James Benning] [Pressezone]Über den Film„Während der letzten halben Stunde habe ich das Rattern der Ei-senbahnwagen gehört, bald verhallte es in der Ferne, dann wieder wurde es lauter wie der Flügelschlag eines Rebhuhns …“ Henry David Thoreau, Walden Eine Art, über James Benning zu schreiben, besteht darin, sich ge- radewegs in die strukturale Strenge und merkwürdige Launenhaftigkeit seiner Filme zu vertiefen. Eine andere Art könnte darin bestehen, den Mythos aufzugreifen, der Benning mittlerweile umgibt. (...) Der Ben- ning-Mythos, so wie ich ihn verstehe und schätze, setzt sich aus drei ebenso unwiderstehlichen wie kurzen Erzählfragmenten zusammen. Erstens: Ungefähr im gleichen Alter, in dem Norman Mailer war, als er Armies of the Night (Heere der Nacht) schrieb, schwimmt Benning nackt im Swimming Pool des California Institute of the Arts (Cal- Arts), wie auf einem Foto zu sehen ist, das 1989 in der Zeitschrift Vogue veröffentlicht wurde. Die Darstellung des Pools oszilliert zwi- schen dem sonnenflirrenden Hedonismus eines David Hockney und der ausdruckslosen Leere eines Ed Ruscha, so dass die Hinzufügung von Bennings optisch verzerrtem Torso zu diesem Lexikon durchaus mehrdeutig bleibt. (...) Zweitens: Zu einer Zeit, als die benachteiligten Mitarbeiter der ‘Physical-Plant‘ von CalArts erfolglos versuchten, sich der Gewerkschaft anzuschließen, begann James Benning, seine Lehrveranstaltungen in einem graugrünen Hemd abzuhalten, das den gleichen Einheitsstil wie die Arbeitskleidung der ‘Physical-Plant‘-Mitarbeiter aufwies und über dessen Brusttasche sein Vorname in roten Buchstaben aufgestickt war. CalArts war schon immer sehr stolz auf seine fest angestellten Dozen- ten, die in ihrer freundlichen, stets zuvorkommenden, subprofessora- len Art so anachronistisch anmuten wie Tankwarte. Die dritte Geschichte ist noch unabgeschlossen; sie beinhaltet Bennings Nachbau einer nahezu originalgetreuen Kopie von Henry David Thoreaus Walden-Hütte auf einem Stück Land, das er in den Bergen nördlich von Los Angeles besitzt. Es gibt Gerüchte, dass Ben- ning eine zwar nicht authentische, aber dafür pflegeleichte Mischung von Baumaterialien verwendet, die den zu Verfügung stehenden Gar- tenwerkzeugen besser entspricht. Aus der Summe dieser Geschichten entsteht die halb ernst, halb komisch anmutende Umarbeitung eines unerschöpflichen und allgegenwärtigen Motivs des neunzehnten Jahr- hunderts: des amerikanischen Adams. (R. W. B Lewis, The American Adam: Innocence Tragedy and Tradition in the Nineteenth Century, Chi- cago: University of Chicago Press, 1955) Bennings Prinzip des Beobachtens folgt dem von Thoreau am Ufer des Walden-Sees. Nach Bennings Vorstellung von Kunst erstattet der Künstler seinem Publikum in einem ganz ähnlichen Sinne „Bericht“ wie Thoreau am Ende seiner sechsundzwanzig Monate als „Rückkehrer ins zivilisierte Leben“. Das ist natürlich nur eine schöne Einbildung, bildete die Eisenbahnstrecke, die an Thoreaus Hütte vorbeiführte, doch eine stets gegenwärtige Verbindung zur Gesellschaft und dem ungestümen „Rammbock“ des kommerziellen Lebens. (Henry David Thoreau, Walden, 1854) In Bennings vorletztem Film RR dringt die Eisenbahn in einen Raum ein, der nur kurz und auf trügerische Weise paradiesisch und ursprünglich wirkt. Mehr als alles andere zeichnen die einzelnen Ka- drierungen des Films die Räume nach, die von der Eisenbahn und für sie geschaffen wurden, sosehr einzelne Einstellungen auch jene male- rischen Codes des Pittoresken aus der Vorzeit der Eisenbahn evozieren mögen. Mit jedem vorbeifahrenden Zug geht das ‘Vorfahrtsrecht‘ auf den durchziehenden Behemoth (A.d.R.: ein mystisches Wesen, teils Flusspferd, Elefant und Wasserbüffel, vergleichbar mit dem Leviathan) über und wird zur bloßen Rechtfertigung und Lizenz für nichts als diese Passage. Der Titel von Bennings Film selbst ist die allgegenwär- tige Abkürzung für dieses Vorfahrtsrecht, er ist Warnung und territo- riale Markierung gefährlicher Kreuzungen. RR besteht aus dreiundvierzig fixierten Kameraeinstellungen von unterschiedlicher Länge. Das ‘Signifikat‘ (die Geschwindigkeit und Länge des Zuges sowie die akustischen Register seines Kommens und Gehens) genießt Priorität gegenüber dem ‘Signifikanten’ (dem Fas- sungsvermögen des Filmmagazins). Der Respekt vor dem Bezeichneten verlangt in diesem Fall eine flexiblere Herangehensweise an das Pro- blem der filmischen Dauer. In seinen früheren Filmen gewährte Bennings strukturalistische Disziplin der werkseitig standardisierten Länge von 16mm-Film, wie sie der Bolex-Kamera zur Verfügung steht, eine prokrusteische Autori- tät. Mit RR wird die Autorität der Dauer einer mächtigeren Maschine überantwortet, womit zugleich nahegelegt wird, dass nicht alles in der Welt der Dinge und Handlungen der Tyrannei des Signifikanten anheimzustellen ist. Vielleicht ist die Eisenbahn zu paläo-modern, um vollständig vom Spektakel in Beschlag genommen zu werden, und bleibt damit in ihrer alltäglichen Notwendigkeit und Funktionalität unsichtbar. Benning geht einmal mehr auf die überlieferte Affinität zwischen dem Kino und der Eisenbahn zurück, denen beiden fälschlicherweise nachgesagt wird, sie seien in der heutigen Welt elektronischer Echt- zeitkommunikation überflüssig und irrelevant geworden. Während RR, gemessen an unseren Erwartungen an einen Benning-Film, auf den ersten Blick vielleicht als ein weit weniger strukturalistischer Film erscheinen mag, könnte er sich bei näherer Betrachtung ganz im Ge- genteil als sein rigorosestes strukturalistisches Experiment erweisen. In seinen Aussagen zu RR hat Benning, dessen Denken über Film- bilder und Filmdauer immer der analytischen Geometrie nahegestan- den hat, davon gesprochen, dass der sich bewegende Zug „vollständig die Z-Achse definiert“. In diesem Sinne wird die Eisenbahn nicht zu jenem von Thoreau imaginierten kometenhaften Transzendentalsigni- fikanten, sondern vielmehr zum ultimativen Garanten perspektivischer Tiefe und Illusion, zum Garanten des Vorfahrtsrechts der westlichen Bildtradition. In einer ganzen Reihe von Einstellungen, aus denen sich der Film zusammensetzt, sind die Schienen im Bild nicht zu sehen; lediglich das Geräusch des herannahenden Zuges vermittelt uns die Idee eines neuen Fluchtpunkts, der in Kürze die in der Szene bereits vorhande- nen Perspektiven vollständig dominieren wird. Auf diese Weise eta- bliert die Bewegung an sich eine klare Hierarchie der Perspektiven, die sich in der Zeitlosigkeit der Malerei oder Standfotografie nur weit weniger emphatisch herstellen lässt. Einstellungen dieser Art spielen sich in RR sämtlich auf der X- und Y-Achse ab, auf der Ebene reiner Zweidimensionalität, bevor der Zug ins Bild kommt. Das zuglose Bild korrespondiert mit den frei flottierenden, ländlichen Tagträumen von Thoreau und, vor ihm, Nathaniel Hawthorne in Sleepy Hollow, die von der Signalpfeife der Eisenbahn rüde unterbrochen wurden. (Leo Marx, The Machine in the Garden: Technology and the Pastoral Ideal in America, 1964) RR ist die gewohnheitsmäßige serielle Wiederholung der Zerstörung der ländlichen Szenerie, eine Zerstörung, die Leo Marx als ‘Gegenkraft‘ zum arkadischen Rhythmus beschreibt. Und doch, oft genug nimmt Benning das tangentiale Quietschen der Stahlräder und das Schep- pern der Waggons in ihrer Lautstärke zurück und gestattet es den Fröschen, Grillen und Zikaden, ihre Gesänge und ihr Zirpen wieder aufzunehmen. Dies alles scheint der Grundstruktur des Films eine ländlich-pas- torale Zirkelform zu verleihen, allerdings ist der Film weitaus histo- rischer als dieser Eindruck suggeriert. Er beginnt damit, altmodische Schachtelwaggons mit Öltanks und Flachbett-Pritschen zu kombinie- ren, schreitet dann im Verlauf seiner dreiundvierzig Einstellungen fort bis hin zu den doppelstöckigen Containerzügen und intermodalen Transporteinheiten der zeitgenössischen ‘Revolution‘ globaler Logis- tik, jener beflissenen Dienerin eines gewissenlosen Verbrechertums, das sich hinter dem neoliberalen Programm einer freien Marktwirt- schaft für den Welthandel verbirgt. Es gibt keine Dienstwagen, keine Zugaufsicht. Niemand kümmert sich um die Bremsen. Und als der in der Ferne verschwindende Zug auf die Z-Achse ein- schwenkt, beseitigt die perspektivische Verkürzung alle Zwischenräu- me zwischen den einzelnen Waggons und bietet uns stattdessen das Bild eines vibrierenden Stroms von Gütern, einer monströsen, sich unaufhaltsam durch die Landschaft bewegenden Schlange, die irgend- wann in einen Zauberwald aus Windmühlen gerät. Allan Sekula: ‘RR JB‘, in: Barbara Pichler, Claudia Slanar (Hrsg.): James Benning. FilmmuseumSynemaPublikationen, Vol. 6. SYNEMA-Publikatio- nen (Wien) 2007, S. 238–240. Ein Interview mit James Benning gibt es hier: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/ard/41336/ [Inhalt] (Credits] [über den Film] [über James Benning] [Pressezone]Credits:Land: USA 2007Ein Film von: James Benning Co-Produktion: Westdeutscher Rundfunk (WDR) Format: 16mm, Farbe. Länge: 111 Minuten, 24 Bilder/Sekunde. Uraufführung: 2. November 2007, Österreichisches Filmmuseum, Wien Verleih: Freunde der dt. Kinemathek www.fdk-berlin.de eine Liste mit allen Orten und jeweils einem kleinen Bild befindet sich auf den Seiten von newfilmkritik.de [Inhalt] (Credits] [über den Film] [über James Benning] [Pressezone]BiofilmografieJames Benning, geboren 1942 in Milwaukee, wuchs als Sohn deut-scher Einwanderer in Milwaukee auf und begann ab 1972, noch vor seinem Filmstudium an der Universität von Wisconsin, als unabhän- giger Filmemacher mit der Herstellung zunächst von Kurzfilmen, an- schließend von längeren experimentellen Filmen. In den Jahren 1978 bis 1985 entstanden darüber hinaus verschiedene Projektions- und Computerinstallationen. Von 1977 bis 1980 unterrichtete er an den Universitäten von Kalifornien und Oklahoma, arbeitete anschließend als unabhängiger Filmemacher in New York. Neben seiner Filmarbeit lehrt Benning seit 1987 im Fachbereich Video am California Institute of the Arts. Filme (Auswahl):1974: 8½ x 11.1976: 11 x 14 (Forum 1977) 1978: One Way Boogie Woogie 1979: Grand Opera (Forum 1980) 1981: Him and Me 1983: American Dreams 1985: O Panama (Forum 1987) 1986: Landscape Suicide (Forum 1987) 1988: Used Innocence 1991: North on Evers 1995: Deseret 1997: Four Corners (Forum 1998) 2000: El Valley Centro (Forum 2002) 2001: Los (Forum 2002) 2002: Sogobi (Forum 2002) 2004: 13 Lakes (Forum 2005) 2004: Ten Skies (Forum 2005) 2005: One Way Boogie Woogie / 27 Years Later (Forum 2006) 2007: Casting a Glance 2007: RR |