Die
Figur des Selbstmordattentäters ist eine kulturelle Ikone
unserer Zeit. Sie bringt ein neues Genre hervor wie Filme über
Bankräuber, Soldaten im Krieg oder Gefängnisausbrüche.
Die meisten Filme haben sich auf den Grund konzentriert, das
Warum. Ich habe entschieden, nicht zu erklären, warum. Ich
vermutete, dass das eine Kontroverse Auslösen würde,
was nicht meine Absicht war. Ich wollte einen Film über
etwas Zerbrechliches, schwer Greifbares machen, den Zusammenstoß
einer moralischen Gewissheit mit einer Welt, die einfach nicht
kooperieren will. Es geht nicht darum, wie sie zu ihrer Überzeugung
gelangt ist - in der ersten Szene erklärt sie ihre Absicht,
für eine größere Sache zu sterben - sondern darum,
wie die Welt droht, sie davon abzubringen. Die Erosion von
Gewissheit, die Möglichkeit von Zweifel. Motiv und Ideologie
darzulegen würde diese Geschichte überwältigen, sie in
den Treibsand von Stereotypen und Standarddebatten hineinziehen.
Wie viel Warum wäre "genug"? Würde es reichen,
sie als fundamentalistische Muslimin darzustellen? Als arabische
Immigrantin? Als Angehörige einer unterdrückten
Gruppe? Sollte ich sie mit einer tragischen Familiengeschichte
versehen, vielleicht mit toten Eltern, die gerächt werden
müssen? Solche Erklärungen implizieren ein trügerisches
Ursache-Wirkung-Verhältnis, sie lullen das Publikum mit
einem allzu bequemen Gefühl des Verstehens ein, wobei sie
oft nur bekannte Metaphern bestätigen. Im wirklichen Leben gehen
die Dinge manchmal nicht so einfach auf, wie im Fall des
15-jährigen Palästinenserjungen, der mit einer Bombe
verhaftet wurde und auf die Frage nach dem Warum antwortete: „Ich
wollte einen getöteten Freund rächen und ich hatte keinen
Bock darauf, in die Schule zu gehen.“
Das
Warum führt sofort zu
der Frage, „Ist ihre Handlung gerechtfertigt?“ Das letzte was ich
gewollt hätte, wäre es gewesen, ihre Handlung zu
rechtfertigen, indem ich ihr eine Hintergrundgeschichte gebe, die
alles erklärt. Diese Frage führt in eine Sackgasse.
Natürlich ist sie nicht gerechtfertigt. Natürlich
glaubt sie, sie sei gerechtfertigt. Und für die Zielsetzung des
Films zählt allein das. Der Film verlangt vom Zuschauer einen
Vertrauensvorschuss, er muss voraussetzen, dass das Mädchen
glaubt, dass sie für eine gerechte Sache kämpft, dass
ihr Vorhaben nicht nur richtig, sondern sogar gerecht und
moralisch richtig ist. Es ist egal, ob wir das glauben; alles
was zählt, ist, dass sie es glaubt.
Es
gibt keine einfache Erklärung, keine Auflösung, keine
falsche Beruhigung – nur Rätsel und Widersprüche,
Anzeichen des Zögerns inmitten verbissener Entschlossenheit,
Hinweise auf Zweifel inmitten der Gewissheit, winzige Momente
absurder Komik inmitten der potentiellen Tragödie. Ich
fühle mich unwohl mit der Idee der Vermenschlichung der Figur
eines Selbstmordattentäters, ganz sicher unwohl mit der
Vermenschlichung der Tat an sich, und dennoch wurde ich
hineinge-zogen in das, was an diesem Charakter das Menschlichste ist
– ihre Verletzlichkeit, ihr Hunger, ihre Langeweile, ihre
Desorientierung.
Das
Warum bleibt außerhalb der Leinwand. Und außerhalb der
Leinwand ist die Welt. Es gibt sehr reale, komplexe soziologische und
politische Hintergründe von Selbstmordanschlägen –
der Film will das auf keinen Fall bestreiten. Aber es ist nicht meine
Aufgabe, eine säuberlich verpackte Politikstunde
anzubieten. Ich will dem Publikum nichts beibringen, schon gar
nicht etwas, das es längst weiß. Ich vermute, dass das
Publikum, das kommt, morgens die Zeitung gelesen hat; ich
vermute ein Publikum, dass den Film in sein eigenes Verständnis
der Zusammenhänge einordnet. Ein Film wird naturgemäß
von der Leinwand begrenzt. Die Zusammenhänge gehen über
die Leinwand hinaus. (Julia Loktev)