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Die dünnen Mädchen

Die dünnen Mädchen

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INHALTDie dünnen Mädchen

Die dünnen Mädchen, das sind acht junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, die seit langem an Essstörungen
leiden und versuchen, diese zu bekämpfen. Sie haben gehungert bis zur Selbstauflösung und können nicht
einfach damit aufhören. Diagnose: Magersucht. Die Krankheit frisst sich in ihr Leben – bis zur vollständi-
gen Machtübernahme. Maria Theresa Camoglios Film dokumentiert, wie die jungen Frauen wieder eine Be-
ziehung zu ihrem Körper aufbauen, um damit auch die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen.
„Ich habe ganz lang nicht mehr gelacht“, sagt Susanne. Und Sonja erinnert sich: „Ich war mir selber egal. Ich konnte
mich nie entscheiden, ob ich leben wollte oder ob ich sterben wollte.“
Was bewegt Menschen, sich trotz materiellem Überfluss buchstäblich zu Tode zu hungern? Maria Teresa Camoglio hat in einer Therapieeinrichtung für essgestörte junge Frauen nach Antworten gesucht. Die Erzählungen der Patientinnen zeigen, dass die Auslöser für die Krankheit offenbar sehr unterschiedlich und ganz beiläufig oder banal sein können. Die verbreitete Meinung, Mode und Modemacher seien Schuld, findet hier keine Resonanz.
Dick sei sie ohnehin nicht gewesen, erklärt eine der acht Frauen. Eine Medizinstudentin erinnert sich, dass eine Vorlesung über Herzprobleme bei ihr den krankhaften Teufelskreis ausgelöst habe. Oft begann die Krankheit mit Problemen in der Pubertät oder im Teenageralter. Und da scheint eines bei allen Mädchen ähnlich gelaufen zu sein: Sie haben unter einem äußeren Druck und einer Fremdbestimmung gelitten, denen sie nichts entgegenzusetzen wussten, nichts außer der Kontrolle des eigenen Körpers – hin zum langsamen Verblassen und Verschwinden.
„Entweder war die Welt zu hart für uns, oder wir waren zu weich für die Welt und deswegen sind wir in eine andere Welt gegangen“, interpretiert Iris ihre Krankheit. Und Karin: „Ich war wie zwei Personen. Ich habe gemerkt, dass es gefährlich ist, dass mein Körper nicht mehr schön ist, dass ich viel zu dünn bin, aber... da war irgendwie keine Verbindung zu mir.“
Maria Teresa Camoglio lässt die jungen Frauen selbst über ihr Leiden an der Anorexie reden und gewinnt so einen neuen unverstellten Blick auf die Magersucht. Die Krankheit, die oft als Modeerscheinung abgetan wird, zeigt hier ihre lebensgefährliche Brutalität. Wer darin gefangen ist, kann eben nicht einfach wieder anfangen zu essen. Zunächst war es die verführerische Sucht nach dem Hochgefühl, das das Hungern eine Zeit lang vermitteln kann, wie eines der Mädchen erklärt. Doch bald entgleitet die Kontrolle und verwandelt sich in Zwang.
Ihre Magersucht begleitet die Betroffenen in der Regel ein Leben lang. Auch nach einer Therapie bleiben Rückfälle oft eine latente Gefahr. Denn anders als bei vielen anderen Süchten lässt sich diese Abhängigkeit nicht durch die Vermeidung des auslösenden Stoffes bekämpfen – ganz im Gegenteil. Die Betroffenen müssen lernen, ein „gesundes“ Maß an Nahrungszunahme wiederzuerlangen – das ist noch schwieriger, und das erreichte Gleichgewicht bleibt oft labil.
Gemeinsam mit den dünnen Mädchen hat Maria Teresa Camoglio für den Film eindrucksvolle und ästhetische Szenen entwickelt: einen Flamenco-Kurs, gemeinsames Kochen, Schattenspiele. Sie sind nicht Teil der regulären Therapie, sondern sinnlich erfahrbare Bilder für das Wesen dieser Krankheit, für das Selbstverständnis der Mädchen, für ihre Weigerung, eine erwachsene Frau zu werden. Die pointierten und kalkulierten Bewegungsabläufe des Flamenco-Tanzes demonstrieren eine selbstbewusste Weiblichkeit, die ihnen fehlt und vielleicht Angst macht. Noch bewegen sie sich unsicher und zurückgenommen. Flamenco aber, so sagt die Tanzlehrerin, „das hat mit Stolz zu tun. Man muss präsent sein, man muss stolz sein.“ Präsent und stolz zu sein müssen die Mädchen erst wieder lernen. Die Flamenco-Lehrerin macht es vor: „Ich bin da. Es müssen alle merken, dass ich da bin.“
Die dünnen Mädchen arbeiten daran. Susanne beispielsweise berichtet, wie ihre „Gefühle langsam wieder kommen, so Stück für Stück, und ich würde fast sagen, mit jedem Kilo, das wiederkommt, merke ich wieder mehr, was meine Gefühle sind...“

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CreditsDie dünnen Mädchen

Deutschland, 2008, Farbe, 94'
Regie: Maria Teresa Camoglio
Konzept/Buch: Michael Bertl, Maria Teresa Camoglio
Produktion: Chiaroscuro Filmproduktion
Produktionsleitung: Heino Herrenbrück
Kamera: Sophie Maintigneux
Redaktion: 3sat/ZDF
Prädikat Filmbewertungsstelle Wiesbaden: Besonders Wertvoll
Sprachfassung: OF (Deutsch)

FSK 12

Pressematerial www.eyzmedia.de (unten)

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BiografieRegisseurin

Maria Teresa Camoglio

wurde 1961 in Sassari/Sardinien geboren und studierte nach dem Abitur Fotografie und Graphische Technikenam Instituto Statale d’Arte in Sassari. Danach arbeitete
einen Lehr-Sie als Dozentin für Fotografie in den Kunstinstituten von Sassari und Alghero, später dann studierte sie in Berlin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und war von 1993 bis 1994 Stipendiatin bei der Drehbuchwerkstatt Potsdam. Seit 1999 hat Sie einen Lehrauftrag an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.

Filme 

KINO:
2006     Hand in Hand     
1997     Bandagistenglück     
TV:
2001     Herzschlag - Das Ärzteteam Nord ...    
1999     Liebe, Lügen und Geheimnisse     


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Interview mit Maria Teresa CamoglioDie dünnen Mädchen

Was hat Sie bewogen, einen Dokumentarfilm über Magersucht zu drehen? 

„Magersucht“ ist ein Begriff, der mit Mode verbunden schien. Das hat mich wütend gemacht. Ich kannte ein paar junge Mädchen, die magersüchtig waren. Die hatten nichts mit Mode zu tun. Diese Krankheit wird total unterschätzt und weniger als Krankheit denn als Modetorheit verstanden. Deshalb habe ich mich entschieden, eine Dokumentation darüber zu drehen. Ich wollte die verschiedenen Facetten dieser Krankheit zeigen. Häufig werden allein die Medien dafür verantwortlich gemacht, weil sie ein extremeres Bild der Frau als früher vermitteln. Natürlich hat Magersucht auch damit zu tun. Aber das erklärt die Krankheit nicht alleine.

Können Sie die Ursachen genauer beschreiben? 

Es wäre schön, wenn man einen einzigen Grund identifizieren könnte. Aber das ist leider nicht möglich. Es gibt viele Ursachen: Magersüchtige Mädchen haben eine dünne Haut, sie sind besonders intelligent und sie sind gut in die Schule. Sie versuchen alle Erwartungen hundertprozentig zu erfühlen. Irgendwann kommt der Punkt, da wissen sie nicht mehr weiter. Hier entwickelt sich ihre Krankheit. Die Magersucht ist ein Schrei nach Hilfe. Sie können die Erwartungen nicht erfüllen und sie können sich nicht dagegen wehren, sie können nur ganz langsam verschwinden. Ihr Film heißt DIE DÜNNEN MÄDCHEN. Warum nennen Sie diese jungen Frauen „Mädchen”? Die meisten sind zwar über zwanzig, doch sie sehen sich selbst nicht als Frauen. Dass sie nicht erwachsen werden wollen, ist Teil ihrer Krankheit. 

Warum haben die Mädchen bei dem Film mitgemacht? 

Für sie war es auch eine Abwechselung. Sie fanden es ein bisschen verrückt, dass jemand auf die Idee kommt, diese Krankheit zu erklären. Aber daran war ich ohnehin nicht so sehr interessiert. Vor allem wollte ich die Mädchen erzählen lassen, wie sie die Krankheit erleben. Ich wollte sie zu Wort kommen lassen. Das hat ihnen gefallen. 

Was kann das Publikum von Ihrem Film lernen? 

Ich möchte, dass die Leute verstehen, wie gefährlich diese Krankheit ist. Wer in die Falle dieser Krankheit gerät, kommt nur ganz schwer wieder heraus. Magersucht beginnt wie ein Spiel und wird bald zu einer Sucht. Es ist eine der schlimm- Seite 2 Seite 3 sten Suchtkrankheiten unserer Zeit. Etwa 10 % sterben an der Anorexie. Die Todesrate steigt auf weit über 15 %, wenn man als Konsequenzen der chronischen Krankheit Selbstmorde, Infektionen und weitere Folgen der Mangelernährung hinzurechnet. Wenn ein Mädchen aufhört zu essen, ist das eine Gefahr, die man nicht unterschätzen darf. 

Ist die Magersucht eine Krankheit unserer modernen Gesellschaft? 

Schon im 18. Jahrhundert gab es die ersten bekannten Fälle. Diese Krankheit hat mit Charaktermerkmalen und mit den Erwartungen der Gesellschaft zu tun. Einerseits machen magersüchtige Mädchen lieber sich selbst unglücklich als andere, andererseits steigt in unserer Gesellschaft der Leistungsdruck ständig. Die Anorexie scheint mir ein Zusammenspiel dieser Faktoren zu sein. 

Was können Eltern und Erzieher tun? 

Wie können sie Kinder vor dieser Krankheit schützen? Indem sie die Anpassungserwartungen reduzieren. Man kann es nicht oft und laut genug sagen: Jeder Mensch hat das Recht, so akzeptiert zu werden, wie er ist, und nicht, wie er sein sollte oder könnte. Unsere Gesellschaft arbeitet dagegen viel zu viel mit Normen. 

Sie haben mit den Mädchen viel Zeit verbracht. Haben sie etwas von ihnen gelernt? 

Vor allem, dass man sich selbst mehr akzeptieren und lieben sollte, und dass man seine Grenzen anerkennen muss.

Haben die Mädchen den Film gesehen? 

Der Film wäre ohne Zustimmung der Mädchen und der Leiterin der Klinik nicht erschienen. Mit Herzklopfen haben wir ihnen den Film gezeigt. Nach der Vorführung waren die Mädchen stolz und glücklich. Sie waren überrascht zu sehen, dass man einen verständlichen Film über diese Krankheit machen kann.



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