
Am
Rande der Städte
[Inhalt]
[Biographie]
[Credits]
[Über den Film] [Interview]
[Pressematerial]
INHALT
Am Rand von Mersin, einer Küstenstadt im
Süden der Türkei, sind
innerhalb der letzten
Jahre zahlreiche Siedlungen entstanden, deren
Struktur und
Aussehen für die Türkei ungewöhnlich sind:
große Wohn-
blocks, die kreisförmig um eine
Art Park herum gebaut sind, in der
Mitte große
Swimmingpools, Begegnungsstätten, Restaurants, Bars.
Die
Balkone der Wohnungen sind alle auf dieses künstlich angelegte
Zentrum
hin ausgerichtet, dem Umland haben die Bewohner den Rü-
cken
zugekehrt.
In diesen Siedlungen leben zum großen
Teil ‘Deutschländer‘, das heißt
Türken,
die viele Jahre in der Bundesrepublik gearbeitet und gespart
haben,
um jetzt das Leben hier zu genießen. Aber wirklich
zurückge-
kehrt in die Türkei sind sie nicht
– zu viel liegt zwischen ihnen und
der alten Heimat.
So sitzen die Rückkehrer auf ihren Balkons, am
Swimmingpool,
am Abend im Restaurant – und bleiben unter sich.

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Credits
Regie: Aysun Bademsoy
Land: Deutschland
2006.
Produktion:
Harun Farocki Filmproduktion, Berlin.
Buch, Regie: Aysun
Bademsoy.
Kamera:
Sophie Maintigneux.
Ton:
Annegret Fricke.
Schnitt:
Clemens Seiz.
Regieassistenz: Göknur
Uyan k.
Produzent:
Harun Farocki.
Mitwirkende:
Miray Özdemir, Deniz Özdemir, Şakire Çom,
Fikret
Çember, Vesile Çember, Kutlu Çember,
Pinar Keskin,
Güler Keskin, Mümin Gökçeoğlu,
Şehri
Gökçeoğlu, Gökhan
Gökçeoğlu, Ergün
Gökçeoğlu, Cemil Uyan k, Meliha Uyan k,
Göknur Uyan k,
Serhat Uyan k.
Format:
HD, 16:9, Farbe. Länge: 83 Minuten.
Originalsprachen:
Deutsch, Türkisch, mit dt. Untertiteln
Uraufführung:
16. Februar 2006, Internationales Forum, Berlin.
Gefördert
durch die Kulturstiftung des Bundes
Pressematerial
-
www.kinopresseservice.de

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Biografie
Aysun
Bademsoy wurde 1960 in Mersin (Türkei) geboren. 1969 zog
sie
nach Westberlin. Von 1978 bis 1989 studierte sie Publizistik und
Theaterwissenschaft
an der Freien Universität Berlin. Während der
Studienzeit
wirkte sie als Schauspielerin in Fernseh- und Kinofilmen
mit
und arbeitete als Regieassistentin, Cutterin und Produktionsassis-
tentin.
Seit 1989 ist sie als Dokumentarfilmerin tätig.
Filme:
1989:
Fremde deutsche Nachbarschaft. 1990: Detektei Furkan – Ein
türkischer
Privatdetektiv in Berlin. 1991: Schwarze Polizisten. 1994: Nir-
gends
ist man richtig da. Ein Polizist wie jeder andere. 1995:
Mädchen
am Ball. 1996: Ein Mädchen im Ring.
1997: Nach dem Spiel (Forum
1998). 1999: Deutsche Polizisten
(Forum 2000). 1999: Jetzt, in diesem
Augenblick. 2005: Die
Hochzeitsfabrik. 2006: AM RAND DER STÄDTE.
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Die Regisseurin über den Film
Zwischen
den größeren Küstenstädten der
Türkei, am Rande der gro-
ßen
Durchfahrtsstraßen, sind im Laufe der vergangenen Jahre Sied-
lungen
entstanden, deren Architektur für die Türkei
völlig neu ist. Es
ist schwer, in diese Siedlungen zu
gelangen: Der private Wachschutz
am einzigen Eingangstor
verlangt den Pass des Besuchers sowie eine
persönliche
Einladung von einem der Bewohner und stellt dann eine
Art
Meldezettel aus. Man wird von demjenigen, den man besuchen
möchte,
am Tor abgeholt, nachdem er von den Wachschutzleuten aus-
gerufen
worden ist.
In diesen Siedlungen leben überwiegend
Türken, die viele Jahre im
Ausland, vor allem in der
Bundesrepublik, gearbeitet haben. Jahrelang
haben sie in
kleinen Wohnungen gelebt, ihr Geld gespart und sicher
angelegt,
um jetzt das Leben genießen zu können. Aber die
künstli-
chen Siedlungen tragen bereits erste Spuren
des Verfalls: Die Gemein-
schaftsräume verwahrlosen,
die Restaurantpächter kehren wieder in
die
Städte oder die Tourismuszentren zurück. Die
Jugendlichen, die
in den Siedlungen leben, treffen sich abends
in verlassenen Räumen,
hören Musik, rauchen
und trinken. Rund um die Siedlungen sind Well-
blechhütten
entstanden, in denen Lebensmittel und Hausrat verkauft
werden
– durch die Zäune hindurch, die die Siedlungen
umgeben. Es
ist nur eine Frage der Zeit, bis auch diese
Hütten verschwinden.
Die Siedlungen erinnern an eine
Anlage, die in den sechziger Jahren
von den Amerikanern
achtzehn Kilometer von Mersin entfernt gebaut
wurde. Damals
befand sich die dortige Ölraffinerie noch in ameri-
kanischem
Besitz, und die Wohnungen waren ausschließlich für
die
Mitarbeiter und ihre Familienangehörigen
bestimmt. Sie waren einge-
bunden in ein System. Es gab den
firmeneigenen Shuttle-Bus, der die
Angestellten zu ihren
Arbeitsplätzen brachte und sie wieder zurück
in
die Siedlung fuhr. Für die Freizeit gab es einen Swimmingpool,
einen
Tennisplatz und einen Club mit einem Restaurant und einem
eigenen
Kino.
Die
‘Deutschländer‘-Siedlungen sind im
Gegensatz zu den Anlagen der
Ölraffinerie nur
für die Freizeit und den Ruhestand gedacht. Hier gibt
es
niemanden, der arbeitet. In der Türkei werden diese Siedlungen
auch
Sommersiedlungen genannt, weil die Einheimischen ihre Feri-
enwohnungen
hier haben. Sie verbringen die Wochenenden und den
Urlaub hier.
Für
die Zurückgekehrten sind diese Siedlungen dagegen eher ein Ort
des
Zwangsurlaubs. In den Städten, dort, wo man arbeitet, haben die
Rückkehrer
wenig zu suchen, denn sie arbeiten nicht mehr. Mit dem
Geld,
das sie nach ihren langen Arbeitsjahren in Deutschland erspart
haben,
haben sie sich eine Wohnung oder einen kleinen Laden in
der
Stadt gekauft. Ab und zu schauen sie dort vorbei, holen sich die
Miete
oder die Einnahmen dieser Läden ab und kehren zurück
in ihre
Siedlungen. Wenn sie dann doch aus irgendwelchen
Gründen in die
Städte ziehen
müssen, bleiben sie unter sich und schicken ihre Kinder
in
Schulen, in die nur ‘Rückkehrer-Kinder‘
gehen. Sie besuchen sich
gegenseitig und hoffen, dass die Tage
möglichst schnell vergehen.
Die meiste Zeit aber
verbringen sie und ihre Kinder an den Rändern
der
Städte. Ihre Siedlungen tragen vielversprechende Namen wie
Oase,
Paradies 2, Meeresblick oder Am Olivenhain.
Die
betroffenen Städte sind durch diese Wohnanlagen zersiedelt.
Eine
dieser Städte ist Mersin, eine kleine Stadt an
der Mittelmeerküste
der Südtürkei,
eine Hafenstadt, ein Umschlagplatz für den Handel
zwischen
Asien und Europa. Viele Länder haben schon lange Wirt-
schaftsvertretungen
hier. Unweit vom alten Stadtkern, entlang einer
Palmenstraße,
stehen alte, verfallene Bauhaus-Villen, die einst für
diese
Vertretungen gebaut wurden. Heute sind sie in
Großraumbüros
in der umzäunten
Freihandelszone am Hafen untergebracht.
Im Stadtinneren sind
dicht aneinander gebaute Hochhäuser entstan-
den, die
sich gegenseitig das Tageslicht wegnehmen. All dies wirkt,
als
sei es ohne jede Stadtplanung entstanden.
Zwischen den
Hochhäusern stehen Moscheen, in den Untergeschossen
gibt
es nach amerikanischem Vorbild gebaute Supermärkte. Entlang
der
Randbezirke entstehen immer neue Bauruinen ohne Elektrizität
und
Kanalisation, zu denen noch keine Straßen führen und
die die
Ortschaften näher aneinander rücken
lassen. Sie sind für die zugezo-
genen
Landflüchtigen gedacht, die aber viel zu wenig verdienen, um
jemals
in diese Häuser einziehen zu können.
Je mehr
ich in den letzten Jahren durch meine dokumentarische Ar-
beit
die Situation der hier lebenden Türken begriff, desto
deutlicher
wurde mir, wie weit sie sich von ihrer
ursprünglichen Heimat entfernt
haben, und dass es
für viele gar kein Zurück dorthin mehr geben kann.
Die
Kinder und Jugendlichen der zweiten und dritten Generation der
Migranten
kehren nur auf Druck der Eltern in die Türkei zurück.
Dieser
Druck entsteht aus der Angst, dass dieses Deutschland,
dem die Eltern
selbst so fern geblieben sind, keinen guten
Einfluss haben könnte auf
ihre Kinder. Der Glaube,
dass alles in der Heimat nur besser sein kann
oder auch besser
sein muss, treibt sie zurück – in die neu geschaffe-
nen
Ghettos am Rande der Großstädte. Da, wo das Leben
schon längst
weitergegangen ist, auch ohne sie.
Aysun
Bademsoy
Interview mit der
Regisseurin
Frage:
Du bist selbst in Mersin geboren und zum Teil dort aufgewach-
sen.
Was verbindet dich heute noch mit der Stadt?
Aysun Bademsoy: Mir
geht es wie den Menschen in meinem Film. Einer-
seits habe ich
die Erinnerungen an meine Kindheit dort: der Weg zur
Schule
entlang den Palmenstraßen mit den alten Bauhaus-Villen von
verschiedenen
europäischen Wirtschaftsdelegationen, das Geräusch
des
Meeres, der Hafen, ein Umschlagplatz zwischen Ost und West.
Pferdewagen,
mit denen wir an den Wochenenden von der Eisdiele bis
nach
Hause fahren durften. Oder auch das Freilichtkino, wo wir oft
alte
türkische melodramatische Filme gesehen haben. Das alles gibt
es
heute nicht mehr. Wenn man nach Mersin hineinfährt, steht da
ein
Schild – das ist den Amerikanern abgeschaut
–, auf dem die Einwoh-
nerzahl der Stadt angegeben
ist; irgendetwas mit zweihunderttausend.
Mersin hat aber heute
weit mehr als eineinhalb Millionen Einwohner.
Die Stadt ist
ungeheuer gewachsen, ganz planlos. Die Dinge, an die
ich mich
erinnere, sind fast ausnahmslos verschwunden. Deshalb geht
es
mir tatsächlich wie den Menschen in meinem Film. Male ich ein
Paradies,
das ich verlassen musste? – Gleichzeitig ist es gerade das
ganz
Unparadiesische, das mir an Mersin gefällt. Da ist nichts
Folklo-
ristisches, wie in Kreuzberg. Die
Ghetto-Attitüde dort, das Komplexe,
Moderne,
Zerrissene – das ist ja auch Folklore. Was mir
gefällt, ist, zu
beobachten und zu erleben, wie die
Menschen damit zurechtkommen,
dass ihre Familien zerfallen,
wie sie versuchen, Entwicklungen aufzu-
halten oder den
Fortschritt im Gegenteil stark beschleunigen wollen.
Frage:
Wie bist du auf die Menschen gestoßen, mit denen du in Mersin
gesprochen
hast?
A.B.::
Ich habe für die Recherche dieses Themas
drei Großstädte aus-
gewählt:
Antalya, İzmir und Mersin. Innerhalb eines Zeitraums von
sechs,
sieben Monaten habe ich in allen drei Städten mehrere Fami-
lien
aufgesucht, ihre Biografien, ihre Lebensziele und ihre heutige
Situation
kennen gelernt. Am Ende entschied ich mich für Mersin; die
Geschichten
der Personen, mit denen ich dort gesprochen hatte, in-
teressierten
mich sehr. Diese Familien hatten die Fähigkeit, über
ihre
ganz unterschiedlichen Lebenswege und Schicksale
selbstreflektiert
zu berichten.
Außerdem bot
sich die Bauart der Siedlungen in Mersin dafür an, sie
in
einem Dokumentarfilm zu zeigen. Hinzu kam, dass sie nahe beiein-
ander
liegen, klarer strukturiert sind als vergleichbare Siedlungen in
Antalya
oder İzmir. Im Gegensatz zu den beiden anderen Städten ist
Mersin
keine historische, keine ‘gewachsene‘ Stadt. Hier
konnten die
neuen Siedlungen ohne großen Widerstand
entstehen.
Frage:
Der Film ist auch eine soziologische
Untersuchung der städ-
tebaulichen
Veränderungen eines Ortes. Wie hast du dich auf dieses
Thema
vorbereitet? Was war der Ausgangspunkt?
A.B.:: Vor etwa zehn
Jahren stieß ich auf eine dieser Siedlungen – eine
der
ersten –, weil mein Onkel nach seiner Rückkehr aus
Bremerhaven
dorthin gezogen war. Durch die Abschirmung, die
das Leben dort mit
sich bringt, hoffte er seiner Tochter dabei
zu helfen, sich allmählich
an den harten Alltag zu
gewöhnen, der in der Türkei herrscht. Außer-
dem
waren er und seine Frau der Meinung, sie hätten es nach all den
Jahren
der Entbehrungen und der Schufterei verdient, dort zu leben.
Sie
wollten so leben, wie sie sich das Leben der Privilegierten vor-
stellten:
mit Pool, Meerblick, Loft, Gärtner und Sicherheitsdienst. Das
hatten
sie aus amerikanischen Filmen. Vor allem die Frauen eiferten
dem
Stil bestimmter Vorbilder nach. Noch heute sind Frisuren im Stil
von
Jackie Kennedy bei ihnen populär.
Frage: Die
Künstlichkeit der Situation und die luxuriöse
Ghettoisie-
rung der Rückkehrer in ihren Siedlungen
am Rand von Mersin ist ein
Umstand, unter dem vor allem die
jugendlichen Kinder der Rückkehrer
leiden. Die Frage
nach ihrer Identität stellt sich hier, sozusagen mit
umgekehrten
Vorzeichen, erneut. Was hat dich an diesem Problem
interessiert?
A.B.::
In all meinen bisherigen Filmen habe ich Kinder der hier in
Deutschland
lebenden Migranten der zweiten, dritten Generation por-
trätiert.
Ich habe gezeigt, wie sie sich gegen die vorgegebenen Regeln
wehren,
sie unterwandern und versuchen, eigene Wege einzuschlagen.
Ein
paar der von mir porträtierten Jugendlichen sind in die
Türkei, in
die Heimat ihrer Eltern regelrecht
verschleppt worden, um dort nach
deren strengen Regeln erzogen
zu werden. Manchen ist es geglückt,
dem zu entkommen
und nach Deutschland zurückzukehren. Die, die
das
nicht geschafft haben, fügen sich ihrem Schicksal und
versuchen,
dort zu leben.
stellten: mit Pool,
Meerblick, Loft, Gärtner und Sicherheitsdienst. Das
hatten
sie aus amerikanischen Filmen. Vor allem die Frauen eiferten
dem
Stil bestimmter Vorbilder nach. Noch heute sind Frisuren im Stil
von
Jackie Kennedy bei ihnen populär.
Frage: Die
Künstlichkeit der Situation und die luxuriöse
Ghettoisie-
rung der Rückkehrer in ihren Siedlungen
am Rand von Mersin ist ein
Umstand, unter dem vor allem die
jugendlichen Kinder der Rückkehrer
leiden. Die Frage
nach ihrer Identität stellt sich hier, sozusagen mit
umgekehrten
Vorzeichen, erneut. Was hat dich an diesem Problem
interessiert?
A.B.::
In all meinen bisherigen Filmen habe ich Kinder der hier in
Deutschland
lebenden Migranten der zweiten, dritten Generation por-
trätiert.
Ich habe gezeigt, wie sie sich gegen die vorgegebenen Regeln
wehren,
sie unterwandern und versuchen, eigene Wege einzuschlagen.
Ein
paar der von mir porträtierten Jugendlichen sind in die
Türkei, in
die Heimat ihrer Eltern regelrecht
verschleppt worden, um dort nach
deren strengen Regeln erzogen
zu werden. Manchen ist es geglückt,
dem zu entkommen
und nach Deutschland zurückzukehren. Die, die
das
nicht geschafft haben, fügen sich ihrem Schicksal und
versuchen,
dort zu leben.
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