Koktebel  (Entdeckung des Jahres 2003/2004) Fipresci

[Inhalt] [Biofilmographie] [Credits] [über den Film]

Inhalt
Es wird Morgen. Das Kanalisationsrohr unter einem Bahndamm irgendwo in der Weite Russlands spuckt in der Dämmerung zwei Gestalten aus – Vater und Sohn. Der Vater ist ein arbeitsloser Ingenieur - nach dem Tod seiner Frau trank er zuviel. Jetzt ist man auf dem Weg zu seiner Schwester. Koktebel ist ein Road-Movie, das die beiden von Moskau nach Koktebel am Schwarzen Meer führt. Immerhin mehr als  1200 km haben sie zu überwinden, ganz ohne Geld.
In sehr sparsamen ruhigen, aber auch überraschenden Szenen erzählen die beiden jungen russischen Regisseure ihre Geschichte aus Perspektive des Jungen – kurz vor der Pubertät ist er fast schon erwachsen, kommentiert die Lügen und Ausreden des Vaters, den Rückfall in alte, schlechte Gewohnheiten mit zunehmendem Sarkasmus. Während der Vater mit seinem Selbstrespekt zu kämpfen hat (und für einen Neuanfang doch noch eine unerwartete Chance bekommt) will der Junge ans Meer, das für ihn Freiheit, Emanzipation, einen Neuanfang  bedeutet.
„erfrischende Emotionalität, die eine künstlerische Tradition des menschlichen Geschichtenerzählens neu belebt“ wurde dem Film bescheinigt, und deshalb gewann er u.a. beim go-east-Filmfestival dieses Jahr den Hauptpreis.

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 Boris Chlebnikov, Alexei Popogrebsky Boris Chlebnikov, Alexei Popogrebsky

Biofilmographie

Boris Chlebnikow wurde am 28. August 1972 in Moskau geboren. Er
schloss ein Studium der Filmtheorie am Russischen Filminstitut (WGIK)
ab. 1997 drehte er gemeinsam mit Alexej Popogrebskij seinen ersten
Dokumentarfilm, Mimochod (16mm, 21 min.). Sein zweiter Film, Tricky
Frog, ein Kurzspielfilm, entstand im Jahr 2000.

Alexej Popogrebskij wurde am 7. August 1972 in Moskau geboren. Er
schloss ein Psychologiestudium an der Universität in Moskau ab. 1997
drehte er gemeinsam mit Boris Chlebnikow seinen ersten Dokumentarfilm,
Mimochod (16mm, 21 min.). Bei Chlebnikows Tricky Frog (2000)
war er für den Schnitt verantwortlich.

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Credits

Land: Russland 2003. Produktion: PBOUL Production, Moskau, mit
Unterstützung der Filmabteilung des russischen Kulturministeriums.
Buch und Regie:
Boris Chlebnikow, Alexej Popogrebskij. Kamera: Shandor
Berkeshi R.G.C. Ausstattung: Gennadij Popow. Kostüme: Swetlana
Michailowa. Ton: Jewgenia Pototskaja. Schnitt: Iwan Lebedew. Produzent:
Roman Borisewitsch. Musik: Lutgardo Luga Lebad, ‘Children’s Songs’
von Chick Corea.
Darsteller:
Gleb Puskepalis (Junge), Igor Tschernewitsch (Vater), Wladimir
Kutscherenko (Hausbesitzer), Agrippina Steklowa (Ärztin), Alexander
Iljin (Lastwagenfahrer), Jewgenij Sytyi (Gleisarbeiter).
Format:
35mm, 1:1.66, Farbe. Länge: 105 Minuten, 24 Bilder/Sek.
Sprache:
Russisch.
Uraufführung:
25. Juni 2003, Internationales Filmfestival Moskau.
Weltvertrieb: Celluloid Dreams

Verleih: Freunde der dt. Kinemathek

Pressematerial: www.kinopresseservice.de


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Die Regisseure über ihren Film
Dem Projekt unseres ersten abendfüllenden Films näherten wir uns mit
großem Verantwortungsbewusstsein. Die Zeit, in der wir auf die Förder-
gelder warteten – das waren tatsächlich einige Jahre –, nutzten wir
für eine sehr gründliche Vorbereitung. Während unserer Reisen entlang
der Route unserer Protagonisten wählten wir die Drehorte für
nahezu jede Einstellung des Films aus. Wir kümmerten uns um jedes
Detail der Requisiten und Kostüme. Wir erstellten einen äußerst genauen
Ablaufplan. Gemeinsam mit unserem Kameramann Shandor
Berkeshi entwickelten wir ein Konzept für den Stil, in dem wir unseren
Film drehen wollten. Wir wollten für diesen Stil, den wir ‘die
vergessene Kamera‘ nannten, zahlreiche statische, unaufdringliche
Einstellungen verwenden, die von selbst lebendig werden sollten, so
wie das manchmal in Dokumentarfilmen geschieht (ein Beispiel dafür
ist der in diesem Jahr in die Kinos gekommene Film Hush! von Viktor
Kossakowskij). Mit dieser inneren Haltung begannen wir mit den Dreharbeiten
an Originalschauplätzen auf der Krimhalbinsel. Allerdings
musste die erste Einstellung an diesem ersten Drehtag abgebrochen
werden, weil eine Biene in das Orangensaftglas gefallen war, aus
dem Gleb Puskepalis, unser Hauptdarsteller, trinken sollte. Heute glauben
wir, dass das ein Wink des Schicksals war. Das Leben um uns
herum besteht aus Myriaden winziger Begebenheiten, die manchmal
mehr erzählen als die dramatischsten Ereignisse. In jedem einzelnen
Augenblick haben wir die Wahl, diese Begebenheiten entweder zu
beobachten und Notiz von ihnen zu nehmen oder sie außerhalb der
Reichweite unserer Aufmerksamkeit zu lassen. Wir hatten das Gefühl,
dass wir, um diese besondere Geschichte zu erzählen, einen Raum
auf der Leinwand schaffen mussten, in dem solche Details und Begebenheiten
sich auf möglichst natürliche Weise entfalten konnten.
Eine der wichtigsten Lektionen, die wir während der Arbeit an KOKTEBEL
lernten, bestand darin, dass wir, während wir alles taten, um unser
Konzept zu realisieren (wobei wir glauben, dass uns das dank unserer
exzellenten Crew größtenteils gelungen ist), zugleich darauf vorbereitet
und willens sein mussten, die zahllosen Variationen zu akzeptieren,
die die Natur, die Schauspieler, das Leben ganz allgemein
unserem Entwurf hinzufügen sollten. Ohne all diese Einflüsse kann ein
Film nur eine Illusion vermitteln, aber nicht das Gefühl von Leben.

Über den Film
Die Idee zu KOKTEBEL entstand 1995. Die erste Drehbuchfassung
wurde 1998 fertiggestellt. Im Mai 2000 brachen die beiden Autoren
und Regisseure Chlebnikow und Popogrebskij sowie der Kameramann
Berkeshi zu einer Expedition entlang der Route der Protagonisten von
Moskau zu der titelgebenden Stadt auf der Krimhalbinsel auf, um
zusätzliches Material zu sammeln und nach Drehorten zu suchen. Während
dieser Reise, auf der sie viertausend Kilometer zurücklegten, machten
sie Aufnahmen von der Landschaft und den Menschen in den ländlichen
Gebieten von Russland und der Ukraine. In den Jahren 2001
und 2002 folgten zwei weitere Expeditionen.
2001 schickten Chlebnikow und Popogrebskij ihr Drehbuch an den
‘European PitchPoint‘, einen internationalen Drehbuchwettbewerb, den
die ScriptHouse Agency und die European Film Academy organisieren.
KOKTEBEL war eines von zehn Drehbüchern, die aus insgesamt einhundertzwanzig
ausgewählt und deren Autoren damit zum Berliner Filmfestival
2001 eingeladen wurden.
Im gleichen Jahr legte der Produzent Roman Borisewitsch das Drehbuch
zu KOKTEBEL dem russischen Kultusministerium vor. Das Projekt
wurde vom Auswahlkomitee angenommen und erhielt staatliche Förderung.
Die Dreharbeiten fanden im Oktober und November 2002 ausschließlich
an Originalschauplätzen in drei verschiedenen ländlichen Gebieten
in Russland und zwei ukrainischen Regionen statt.
Produktionsmitteilung
(...) Dieses (...) bemerkenswert feinfühlige Roadmovie wird höchstwahrscheinlich
ein erfolgreicher Festivalfilm werden (...). Genauer
gesagt werden nur wenige Mitglieder der Auswahlgremien dem einfachen,
direkten, schmucklosen Ansatz und dem zurückgenommenen,
lakonischen Stil von KOKTEBEL widerstehen können (...). Realisiert
wurde der Film von zwei jungen Filmemachern, von denen einer Film,
der andere Psychologie studiert hat, und deren bisher einzige Erfahrung
in zwei gemeinsam gedrehten Kurzfilmen besteht. KOKTEBEL
wird aufnahmebereite Augen und spezialisierte Nischen, in denen er
gezeigt wird, überall auf der Welt finden. (...)
In einer Variation der Schlussszene von Truffauts Les Quatre cents coups
zeigt die letzte Einstellung den Jungen, der auf einem einsamen Pier
am Meer sitzt und zum Horizont blickt, als sein Vater sich neben ihn
setzt und beide den unbekannten Geheimnissen des Lebens gegenüberstehen.
Für eine erste Regiearbeit überraschend selbstsicher und souverän
geben Chlebnikow und Popogorskij dem Film ein gemächliches Tempo,
das perfekt zu dieser Art von Reise passt. Dabei verwenden sie häufig
lange, unbewegliche Einstellungen, in denen die Figuren entweder
als kaum wahrnehmbare Punkte im Bild auftauchen, bevor sie allmählich
näher kommen, oder umgekehrt. Es wurde sichtlich Sorgfalt darauf
verwendet, die Figuren inmitten der Landschaft zu platzieren, ob
in den weiten, frostigen nördlichen Gebieten, die in braungrauem Licht
schwelgen, oder helleren, weiten Ausblicken im Süden. Mit einer Ausnahme
gibt es in keiner Einstellung mehr als drei oder vier Menschen,
manche zeigt auch völlig menschenleere Landschaft. Die Schauspielkunst
spielt eine eher untergeordnete Rolle – eine starke Präsenz ist
in diesem Film wichtiger als tatsächliche Schauspielerei.
Letztlich handelt KOKTEBEL genauso von der Beziehung zwischen Vater
und Sohn wie vom Leben auf dem russischen Land und den Menschen
dort (...).
Die Dialoge sind auf das Nötigste beschränkt, Chlebnikow und Popogorskij
sind vernarrt in visuelle Details wie den Blick des Jungen auf
den Hinterkopf eines Mädchens – so etwas sagt oft mehr als stundenlange
Gespräche. Löblicherweise vertrauen sie auf das Verständnis des
Publikums für das, was sie meinen.
Dan Fainaru, in: Screen Daily, Moskau, 3. Juli 2003




 

 

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