Biographie: Agnès Varda wird 1928 in Brüssel geboren. Sie kommt
über die Photographie zum Film. Ohne jemals eine Filmschule besucht
zu haben, realisiert sie 1954 ihren ersten Spielfilm La pointe courte
und wird zu einer wichtige Figur der "Nouvelle Vague". 1985 ernhält
die Frau des Regisseurs Jacques Demy für Sans toit ni loi in Venedig
den Goldenen Löwen. 1996 präsentieren die Französischen Filmtage die
Filmemacherin Agnès Varda in einer Gesantretrospektive.
Filmographie:
1954/55: La pointe courte. 1957: Ô saisons, ô châteaux. 1957/58: L’Opéra-bouffe.
1961/62: Cléo de 5 à 7. 1964: Le bonheur. 1967: Loin du Viêt-nam.
1968: Black Panthers. 1969 Lion’s Love. 1974/75: Daguerréotypes. 1980:
Mur murs. 1982: Ulysse. 1985: Sans toi ni loit. 1986/87: Jane B. par
Agnès V. 1987: Kung Fu Master. 1990: Jacquot de Nantes. 1992: Les
demoiselles ont eu 25 ans. 1993: L’univers de Jacques Demy. 1994:
Les cent et une nuits. 2000: Les glaneurs et la glaneuse.
Agnes
VARDA über ihren Film „les glaneurs et la glaneuse" - „die Sammler
und die Sammlerin"
Dieser Dokumentarfilm besteht aus mehreren Strängen: den Gefühlen,
die ich hatte, als ich mit der Ungewissheit konfrontiert wurde; den
Möglichkeiten, die die neuen, kleinen Digitalkameras bieten; und von
dem Wunsch, das zu filmen, was ich von mir sehen kann - meine alternden
Hände und meine grauen Haare. Ich wollte auch meine Liebe zur Malerei
ausdrücken. Ich musste all diese Stücke so zusammensetzen, dass der
Film einen Sinn machte ohne das soziale Thema zu vernachlässigen,
das ich mir selbst gestellt hatte - Weggeworfenes und Müll: Wer kann
diese gebrauchen und wie? Kann man von dem leben, was andere wegwerfen?
Filme haben ihren Ursprung immer in Gefühlen. Diesmal war es das,
so viele Menschen zu sehen, die Marktplätze absuchen oder die Abfallcontainer
der Supermärkte nach brauchbaren Resten durchwühlen. Sie zu sehen,
löste in mir den Wunsch aus, sie zu filmen, besonders das, was man
nur mit ihrem Einverständnis filmen kann. Wie kann man ihre Suche
dokumentieren, ohne sie dabei zu behindern?
Während der Weizenernte im Sommer 99 sah ich einen Bauern im Fernsehen.
Er saß auf seinem Mähdrescher und sagte, wenn die Maschine falsch
eingestellt wäre, und er dadurch pro Halm nur ein Korn verlöre, eine
enorme Menge Weizen bzw. Geld verlorenginge.
Dieses Weizenkorn an einem Halm beeindruckte mich. Es erinnerte mich
an die Ernterestesammler früherer Zeiten, ein ländlicher Brauch, der
heutzutage (aus offensichtlichen Gründen) verschwunden ist, und an
die Gemälde, die eine Frau beim Sammeln von Ernteresten darstellen.
Ich wollte auch umherschweifen, Menschen treffen, sie aufspüren.
Statt ein „road movie" würde ich meinen Film ein „wandering-road-documentary"
nennen.
Ich musste zuerst in der ländlichen Welt recherchieren (Sammeln und
Pflücken) und dann in der städtischen (aus dem Müll Bergen). Abschweifungen
erlaubte ich mir nur, wenn sie wenigstens indirekt mit meinem Thema
zu tun hatten.
Deshalb kommt in dem Film auch ein Weinbauer vor, der gleichzeitig
Psychotherapeut ist und von dem außergewöhnlichen Etienne-Jules Marey
abstammt, sowie die Anekdote von einem Paar, das ein Café betreibt
und eine Klasse für erwachsene Analphabeten.
Ich wollte Bilder aufsammeln, wie kurze Reisenotizen und mich dabei
freifühlen, Dinge zu zeigen wie den komischen Hund, den ich traf (warum
hatte der einen roten Boxhandschuh um den Hals?) oder den Fluss, der
über seine Ufer getreten war. Frei, mich mit einem Gemälde von Van
der Weyden aufzuhalten. Paare zu beobachten. Aber immer komme ich
zurück zu den Sammlern, kämpfe um ihr Vertrauen, höre ihnen zu, unterhalte
mich mit ihnen, statt sie zu interviewen und filme sie.
Meine Absichten wurden mir beim Drehen und Filmen klarer. Langsam
fand ich die Balance zwischen selbsreferentiellen Momenten (die Sammlerin,
die ihre eine Hand mit der anderen filmt) und solchen, die sich mit
der Realität und dem Verhalten derer befassen, die mich so beeindrucken.
Es gelang mir, mich ihnen anzunähern, sie aus ihrer Anonymität hervorzuholen.
Ich entdeckte ihre Großzügigkeit. Es gibt viele Mittel, mit seiner
Armut umzugehen, gesunden Menschenverstand, Zorn oder Humor.
Die Menschen, die ich gefilmt habe, lehren uns eine Menge über unsere
Gesellschaft und uns selbst. Ich selbst habe beim Drehen eine Menge
gelernt. Meine Theorie, dass Dokumentarfilmedrehen ein Metier ist,
das einen Bescheidenheit lehrt, wurde dabei bestätigt.