Lust erwecken auf eine Suche nach etwas Wahrheit

Gespräch mit Angela Schanelec über ihren neuen Film

Erika Richter: Sie beschreiben in Ihrem neuen Film MEIN LANGSAMES LEBEN nachdrücklich und nachdenklich einige Leute, die alle etwa um die dreißig oder Mitte dreißig sind. Sie haben interessante Berufe, es geht ihnen gut, und dennoch strahlen sie eine tiefe Melancholie aus. Sie wirken auf mich so, als ob das Leben irgendwie vorbei sei, als ob es keine großen Sehnsüchte, Erwartungen und Hoffnungen mehr gäbe. Sehen Sie diese Generation, die ja auch die Ihrige ist, so kritisch? Oder sehe ich das falsch?
A. Sch.: Ich sehe es nicht so. Vielleicht kommen Sie darauf, weil die Figuren über ihre Sehnsüchte nicht sprechen, sie verbergen sie eher. Das liegt daran, dass sie manchmal vielleicht nicht genau wissen, was es ist, wonach sie sich sehnen. Oder sie gestehen sich die Sehnsucht nicht ein. Diese Unsicherheit ist ganz symptomatisch, und all die Figuren, die auftauchen, haben sie gemein, mehr oder weniger ausgeprägt. Es geht ja auch um eine Zeit, in der grundsätzliche Entscheidungen fallen und man immer das Gefühl hat, man muß genau wissen, was man will. Wieviel Freiheit braucht man, will man Kinder, macht man seine eigene Arbeit oder die der anderen? Wonach sehnt man sich? Das ist nicht so leicht.
E.R.: Mich hat das sehr beeindruckt, ja sogar provoziert.
A. Sch.: Diese Grundstimmung, von der Sie sprechen, hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass es kaum Situationen gibt, in denen es zu extremeren Gefühlsäußerungen kommt.
E.R.: Warum ist das so?
A.Sch.: Das hat mich nicht so sehr interessiert, es entspricht auch nicht dem Verhältnis der Figuren zueinander. Sie sind eher vorsichtig im Umgang miteinander oder scheu, sie kennen sich zum Teil ja auch noch nicht so gut. Es hat auch mit Achtung voreinander zu tun und auch mit dem Bedürfnis, sich zu schützen. Sie haben Angst, zuviel von sich preiszugeben. Wenn sie gekränkt werden, ziehen sie sich eher zurück, und wenn sie glücklich sind, naja, wie spielt man Glück? Ein beherrschter Mensch ist einfach schöner. Außerdem glaube ich nicht daran, dass beim Zuschauer Emotionen erzeugt werden, indem man die Schauspieler nötigt, sich zu exaltieren. Man weiß ja immer, dass sie nur spielen, und es ist schwer, einen Funken Wahrheit darin zu finden. Das Erzeugen von Gefühlen im Film ist komplizierter, es hängt für mich mehr mit der Form des Films zusammen.
E.R.: Sie erzählen in diesem Film - im Unterschied zum vorherigen, Plätze in Städten - von einer Gruppe von Menschen, die im Verlaufe des Films teilweise wechselt. Das die Struktur bestimmende Moment ist ein Zeitraum, der dadurch festgelegt wird, dass zu Beginn eine junge Frau wegfährt und dass sie am Ende wiederkommt. Es geht um das halbe Jahr dazwischen. Warum diese Struktur, die für den heutigen Spielfilm ziemlich außergewöhnlich ist?
A.Sch.: Es hat sich so ergeben. Das erste, was ich geschrieben habe, war die Szene, die auch am Anfang des Films steht, die Situation mit Sophie, die nach Rom gehen will. Aus diesem Dialog entstand dann dieses halbe Jahr, in dem die eine weg und die andere da war. Valerie will ja nicht verreisen, sie ist gerade umgezogen, das ist immer eine Art Neuanfang. Sie will ihr Studium beenden, ansonsten hat sie keine bestimmten Pläne. Ich hab' aufgeschrieben, was sie sieht in diesem halben Jahr, was ihr passiert. Es gefiel mir, all diese Leute zu erfinden, auf die sie trifft, in denen sie sich spiegelt.
E.R.: Diese Struktur stützt das Generationen-Bild. Es sind jeweils Variationen desselben. Es sind auch alles Leute aus demselben Milieu. Es ist eine homogene Welt, die gewissermaßen hin- und herpulsiert. Interessant finde ich, dass es zwei Eckpunkte gibt, von denen aus die Welt der Mittdreißigjährigen von einer anderen Seite beleuchtet wird. Das sind einerseits der Vater, der zur Hochzeit seiner Tochter eine wunderbare Rede hält, und die ältere Frau, die über lange Jahre die Geliebte von Valeries Vater war und dies angesichts des Todes ihres Freundes seiner Tochter erzählt. Das sind zwei Bekenntnisse zur Liebe. Und auf der anderen Seite steht das Mädchen, das heiratet und sagt, sie will jung heiraten, nicht mit dreißig oder vierzig, oder gar nicht. Dieses Mädchen ist voller Erwartungen, hat etwas Heiteres und Naives, was sie deutlich von den anderen Figuren unterscheidet. - Wie kommen Sie auf Begebenheiten wie diese? Tragen Sie Beobachtungen zusammen? Sie nennen den Film MEIN LANGSAMES LEBEN. Da denkt man natürlich, dass das Erzählte autobiographische Hintergründe hat.
A. Sch.: Der Film heißt MEIN LANGSAMES LEBEN, weil DAS LANGSAME LEBEN kein schönerTitel ist und falsch wäre. Ich will mich ja nicht darüber ausbreiten, ob das Leben langsam oder schnell ist. Es geht um eine sehr subjektive Empfindung von Zeit. Beziehungsweise um meine Empfindung von Zeit. Soviel hat der Film schon mit mir zu tun. Und die Figuren sind mir nah, ich glaube sie zu kennen, wahrscheinlich so, wie ich mich kenne oder langsam kennenlerne im Lauf der Zeit. Aber autobiographisch ist es nicht. Trotzdem gibt es manchmal Situationen oder Menschen, die ich sehe und die dann in irgendeiner Form beim Schreiben wieder auftauchen. Das ist ja normal.
E.R.: Interessant finde ich, dass sich diese Ähnlichkeit (zwischen den Figuren) auf Männer und Frauen gleichermaßen bezieht. Die Männer sind den Frauen nicht gravierend unähnlich.
A.Sch.: Ja, der Gegensatz besteht weniger zwischen den Frauen und Männern als zwischen den Generationen. Die Alten haben mich interessiert, die Väter, die keine Väter sein wollen oder können und den Jungen somit fehlen. Der Vater von Valerie, der Professor und der Mann in Paris, dessen Stimme man nur hört. Der Vater der Braut verabschiedet sich ja auch in gewisser Weise.
E.R.: Dadurch, dass der Film im Sommer, im grünen Berlin, gedreht wurde, sich so ganz auf dieses halbe Jahr konzentriert, hat er eine wunderschöne Stimmung. Die Farben, das Licht vermitteln einen Genuss, den man den Figuren im Film gar nicht zutraut. Die spezifische Bildsprache läßt einen die Atmosphäre des Ortes, der Zeit intensiv empfinden. Sie verwenden sehr häufig Halbtotalen, auch viele Totalen, fast keine Großaufnahmen. Besprechen Sie so etwas vorher mit dem Kameramann oder kennen Sie einander so gut, dass da gar nichts mehr besprochen werden muß?
A.Sch.: Worüber wir nicht mehr sprechen müssen, ist das Licht, darüber sind wir uns einig, und das ist eine große Erleichterung für mich. Alles andere passiert natürlich auch auf der Grundlage von dem, was wir bisher zusammen gemacht haben, aber da fangen die Diskussionen schon bei der Motivsuche an und gehen bei jeder einzelnen Einstellung weiter, mehr oder weniger.
E.R.: Kennen Sie die Motive schon, wenn Sie das Drehbuch schreiben?
A. Sch.: Nein, das wäre besser. Wir suchen sehr lange, und ich schreibe Szenen um, wenn ich ein Motiv sehe, das mir gefällt, in dem sich aber Einstellungen, an die ich ursprünglich dachte, nicht realisieren lassen.
E.R.: Im Unterschied zu Plätze in Städten, der vorwiegend im Dunkeln spielt, ist MEIN LANGSAMES LEBEN ein Tag-Film. Die Großstadt Berlin im hellen Sommerlicht. Wirklich zauberhaft. Zum Beispiel die Szene im Friedrichshain, wo die vier Personen so ein wenig verloren nacheinander den Parkweg entlang gehen - wir sehen es von weitem - die Bäume rauschen, alles flirrt.
A.Sch.: Ja, dieses Motiv war ein Glücksfall. Obwohl wir schon Monate vor Drehbeginn mit der Suche begonnen haben und viel gesehen hatten, waren wir ewig unzufrieden. David Hoffmann und Felicity Good, die das Szenenbild gemacht haben, fanden es dann eine Woche vor Drehschluß.
E.R.: Warum war das so schwierig? Weil hier in Berlin alles so abgeklappert ist?
A.Sch.: Nein, das stört mich nicht. Ich photographiere auch die Friedrichstraße gerne, einfach weil ich sie schön finde und sie in mein Großstadtbild paßt. Es liegt daran, dass ich eine Szene nur schreiben kann, wenn ich sie mir in einem bestimmten Raum vorstelle, in den und den Ausschnitten und in dem und dem Licht. Das ist Bestandteil der Situation. Den Raum dann in der Realität zu finden, kommt mir manchmal genau so schwierig vor, wie die Darsteller zu finden. Ist es eigentlich auch. Es ist ja das, was dann im Film letztendlich zu sehen ist, was den Film überhaupt erst ermöglicht. Deswegen sind es, bei allen äußerlichen Kriterien, die man bei der Suche ansetzt, auch immer ganz intuitive Entscheidungen für oder gegen ein Motiv.
E.R.: War es das, dass Sie Ihre subjektiven Empfindungen über das Leben so genau wie möglich ausdrücken wollten, dass Sie nicht mehr Schauspielerin sein wollten und zur Filmhochschule gegangen sind?
A.Sch.:Ja.
E.R.: Fühlten Sie sich als Schauspielerin in Ihren Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt? Oder war es eher ein Zufall, der Sie zum Film führte?
A.Sch.: Ich hab' als Schauspielerin kaum Ausdrucksmöglichkeiten gefunden, das lag aber an mir, ich war da fehl am Platz. Man muß sicher sein, dass es wirklich der richtige Beruf ist, sonst ist das Theater schwer zu ertragen. Als ich an die dffb gegangen bin, war das wie eine Befreiung. Ich hab' wieder von vorn angefangen und ein paar kurze Filme gemacht, das war sehr erleichternd.
E.R.: Gibt es für Sie bestimmte Vorbilder?
A. Sch.: Ich habe mit den Filmen ja angefangen, weil ich bestimmte Filme gesehen habe, insofern... ja, die Filme, die ich mag, sind mir wichtig und auch immer gegenwärtig. Das Geld von Bresson und Sauve qui peut (la vie), und, naja, das geht weiter... Das, was man Vorbilder nennt, hab' ich eher in der Literatur, ich weiß nicht genau, womit das zusammenhängt. Ich bilde mir ein, einen Schriftsteller, dessen Werke ich mag, eher zu begreifen, als einen Regisseur. Natalia Ginzburg würde ich als Vorbild bezeichnen.
E.R.: Gibt es für Sie ganz im Geheimen einen Wunsch, was Sie mit Ihren Filmen bewirken wollen?
A. Sch.: Einen Wunsch? Vielleicht eine Lust zu wecken, Lust an der Wirklichkeit, Lust auf eine Suche nach etwas Wahrheit. Lust am Leben also. Bei aller Melancholie, wie Sie das anfangs bezeichnet haben, aber mich macht das nicht melancholisch. Verstehen Sie?
(Das Gespräch wurde am 22.12.2000 in Berlin geführt.)