Im
September 2011 besuchte Papst Benedikt XVI. Deutschland. Glaubt man der
Presse, war das ganze Land im Papstfieber. Eine Station der Reise war
Erfurt.
Die Bilder, die uns Thomas Heise von diesem Besuch zeigt, ähneln dabei
in keiner Weise denen, die damals tagelang auf allen Kanälen zu sehen
waren. Statt weihrauchschwangerer katholischer Farbenpracht
kühles Schwarzweiß. Statt Papst satt: Polizei, Security, eine nervöse
Ministerpräsidentin, Scharfschützen, Sanitäter, die Leute vom Protokoll.
Auf dem Erfurter Flughafen proben alle Beteiligten in Kostüm, Anzug und Uniform den minutiös durchgeplanten großen Auftritt.
Staatsbesuchsbusiness as usual könnte man denken. Doch der Begriff der
Lage kann über die konkreten Umstände des Papstbesuchs hinaus auch als
allgemeinere Zustandsbeschreibung verstanden werden. An derTür des
Erfurter Mariendoms ist das Motto des Diasporatages 2011 zu
lesen: „Keiner soll alleine glauben“. Erfurt 2011: Hier, in der
katholischen Diaspora in Thüringen, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR,
evoziert der Film auch Glücksversprechen an das Kollektiv, die
mittlerweile nicht mehr so hoch im Kurs stehen. Man könnte das durchaus
auch als Frage nach dem System verstehen. (Anna Hoffmann)
Hinter der Absperrung
„Aufgrund räumlicher und sicherheitsbedingter Einschränkungen über-
nehmen ausschließlich die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk-
anstalten und privaten TV-Sender im Rahmen des Berliner Modells die
Funktionen des Host-TV und produzieren gemeinsam das Weltbild.
Dadurch stehen von allen Hauptveranstaltungen des Papstbesuches in
Berlin, Erfurt, Etzelsbach und Freiburg für alle in- und ausländischen
Rundfunksender Bildsignale zur Verfügung. Parallel zum Bildsignal wird
auch das Tonsignal durch das TV-Weltbild zur Verfügung gestellt und kann
im Pressezentrum abgegriffen werden. (...)
Die Vergabe der Aufsagerpositionen ist abgeschlossen.“
Media Guide zur Apostolischen Reise Papst Benedikts XVI.,
herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, S. 13
Die Lage zeigt dieses Weltbild nicht, noch werden dessen Bilder genutzt.
Die Lage zeigt Beobachtungen vom Rande eines Geschehens her, auch aus
zufälliger Nähe, einer Nähe von übersehenem Personal vielleicht und be-
stimmt von wechselnden Freiheiten und enger Ökonomie. Diese Lage erin-
nert mich an frühere Arbeiten: zwei alte 16mm-Filme aus den 1980er Jah-
ren, gedreht mit wenig Mitteln. Die Entscheidung, daran mit zwei Filmen
anzuknüpfen, fiel früh. Knapp sieben Tage Drehzeit ohne die Möglichkeit
detaillierter Vorbereitung. Das klare Schwarz-Weiß. Eine Sache der Augen
und der Ohren.
Die Lage ist nach Das Haus (1984) und Volkspolizei (1985) der dritte in der
Reihe meiner Dokumentarfilme zum deutschen Alltag. Blicke hinter die
Absperrung. (Thomas Heise)
Deutschland 2012. Produktion: ma.ja.de. Filmproduktion, Leipzig.
Regie, Drehbuch: Thomas Heise.
Kamera: Peter Badel, Robert Nickolaus,Maxim Wolfram. Ton: Robert Nickolaus, Thomas Heise. Musik: Konrad Bauer. Schnitt: Mike Gürgen. Produzent: Heino Deckert.
Sprecher: Volker Spengler.
Format: HD, 16:9, Schwarz-Weiß. Länge: 74 Minuten.
Uraufführung: 15. Februar 2012, Forum der Berlinale.