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Das merkwürdige Kätzchen 

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Hier ein Video-Essay zum Film, entstanden an der Uni Mainz im Seminar von Florian Krautkrämer.
               











INHALT                                -Das merkwürdige Kätzchen

An einem Samstag im Herbst sind Karin und Simon bei ihren Eltern und der jüngsten Schwester Clara zu Besuch. Die Zusammenkunft der Familie ist Anlass für ein gemeinsames Abendessen, zu dem im Verlauf des Tages auch weitere Verwandte erscheinen. Während die Familienangehörigen die Wohnung mit ihren Gesprächen, Alltagshandlungen und Kochvorbereitungen beleben, streifen die Katze und der Hund durch die Räume. Auch sie werden zu einem zentralen
Bestandteil dieses familiären Alltagsreigens, der immer wieder überhöhte Elemente aufweist, die einer naturalistischen Darstellungsweise entgegenwirken. So öffnen sich Nebenräume zwischen Familiendrama, Märchen und dem Psychogramm einer Mutter.






über den Film                                                              Das merkwürdige Kätzchen

Das merkwürdige Kätzchen spielt größtenteils im abgeschlossenen Bereich einer Elternwohnung. In diesem modellhaften Raum möchte ich einen verdichteten Kosmos kreieren, in dem hinter den vordergründigen alltäglichen Handlungen und Gesprächen das „Geworfen-Sein“ in ein absurdes Dasein durchschimmert; in dem die Schwierigkeit, das eigene Erleben und Fühlen einem Gegenüber zu vermitteln, die Figuren immer wieder aufs Neue voneinander isoliert. Immerzu müssen sich die Figuren verhalten, um die Leere der Räume auszufüllen. Immer wieder blitzen kurze Momente von gegenseitigem Verständnis, Erkennen und tiefer Vertrautheit auf; Momente, in denen die pochende Leere dieser Wohnung kurz zum Schweigen kommt und den Räumen die schreiende Stille entzogen wird. Bis die Alltagschoreografie zum Stillstand kommt – und dieser Tag zu Ende geht.         
Ramon Zürcher



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Interview

Das merkwürdige Kätzchen ist dein erster Langspielfilm. Wie kam es zu diesem Projekt?

Angestoßen wurde das Projekt im Rahmen eines Seminars an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) mit dem Regisseur Béla Tarr. Es standen Texte von Kafka zur Auswahl, und ich entschied mich für Die Verwandlung.
Es ging darum, eine literarische Vorlage sehr frei zu adaptieren und zu sehen, was für ein filmischer Kosmos daraus entstehen könnte. An Die Verwandlung hat mich die Gegenüberstellung eines gewissermaßen asozialen Raum – des Schlafzimmers, in dem der Käfer liegt – und eines sozialen Raums – der Küche – interessiert. Der Kontrast zwischen der lebendigen, bewegten Küche und dem statischen Raum, in dem die Figuren schlafen, sich dem Leben entziehen, aber auch die Präsenz von Tieren und die Familienkonstellation, um die es geht – all dies waren Elemente, die mich an dem Text gereizt haben. Ich wusste auch, dass ich ein Kammerspiel machen wollte.
Ansonsten hat der Film mit Kafkas Erzählung wenig zu tun. Es wäre absurd, von einer Verfilmung zu sprechen. In meinen letzten Kurzfilmen habe ich schon Dinge ausprobiert, die ich bei Das merkwürdige Kätzchen wieder aufgegriffen habe: wenige Zeitsprünge bzw. eine Echtzeit-Choreografie und eine statische Kamera im Kontrast zu einer lebendigen, dynamischen Inszenierung. Ich wollte aber diesmal einen Langspielfilm machen, zumal ich bei meinen Kurzfilmen bisher oft das Gefühl hatte, filmische Skizzen zu entwerfen.

Wie ist das Drehbuch entstanden?

In einem Skizzenbuch hatte ich einige Ideen gesammelt, die ich mir gut in einem Film vorstellen konnte. Das erste Bild, das mich während der Stoffentwicklung interessierte, bestand aus einer Figur, die in einem Raum schläft, einer Katze, die von außen an der geschlossenen Zimmertür kratzt, und einer Mutter, die der Katze dabei zusieht und sie kratzen lässt. Ich fand diese Situation interessant genug, um von ihr auszugehen und assoziativ zu weiteren Szenerien zu kommen.
So entwickelte sich ein Geflecht aus Momenten, Raumzusammenhängen und Figuren.
Es war wie Billardspielen: Man stößt eine Kugel an, sie knallt auf andere Kugeln, sodass diese wiederum in verschiedene Richtungen rollen und wieder aufeinanderstoßen ...
Bevor ich nach Berlin kam, habe ich im Rahmen eines Kunststudiums gemalt. Schon damals war es mir wichtig, nicht schon von Anfang an ein Thema für ein entstehendes Gemälde zu haben, dessen Sklave ich werde und dem ich mich verpflichten muss. Stattdessen war es mir lieber, einfach nur Striche zu malen und zu schauen, was ich darin entdecke, was sich entwickelt. Ähnlich ergeht es mir beim Schreiben: Das ist für mich wie eine freie Form des Malens mit physischen Aktionen, Dialogen und Geräuschen. Ein bisschen wie écriture automatique. Erst allmählich haben mich dabei Themen aufgesucht – das Thema Kind–Mutter zum Beispiel, und gewissermaßen auch die Geschichte einer Mutter, die vielleicht keine klassische Mutter ist. Nach ungefähr fünf Monaten der Stoffentwicklung hatte ich ein Treatment von 40 Seiten, das ich zu einer ersten Drehbuchfassung von 170 Seiten umschrieb, die anschließend stark verdichtet werden musste. Ich finde, dass Das merkwürdige Kätzchen wie eine audiovisuelle Skulptur ist. Der Film ist entstanden, indem zuerst additiv Material zusammengetragen und dieses dann ausgiebig gemeißelt wurde.

Waren die bebilderten Monologe und die Montagesequenzen mit den Stillleben von Anfang an im Drehbuch?

Ja. Ich hatte von Anfang an Lust, mit bebilderten Monologen zu arbeiten. Momente, in denen Figuren ins Monologisieren bzw. ins genaue Schildern einer vergangenen Situation abschweifen, finde ich interessant. Außerdem mag ich den Bruch, wenn der Sprechende auf der Bildebene abrupt verlassen wird und wir sozusagen in das Erinnerungsbild des Geschilderten einsteigen. Dabei spricht die Figur weiter, so dass sich die Sprache gewissermaßen vom Körper löst und ein Erinnerungsraum entsteht. Die Erinnerungsbilder sind in dem Film wie „Alien-Einstellungen“, die das Kammerspiel und den Wohnungsraum aufbrechen. Die Montagesequenzen mit den verschiedenen Stilleben sind gewissermaßen formalistische Satzzeichen, um Kapitel voneinander zu trennen und um die Objekte, die zuvor in die Handlungen der Figuren eingebunden waren, museal ins Zentrum zu rücken.
Spannend ist, dass die Objekte in gewisser Weise emotionalisiert werden, weil sie an eine Handlung gebunden sind. Dadurch werden sie beinahe zu Figuren. In einer klassischen Geschichte gibt es ein strenges System von Wichtigkeiten und Wertigkeiten: Diese Figur oder jenes Objekt ist wichtig, ein anderes weniger. In meinem Film erhalten die Objekte, obwohl man sie während des Schauens noch nicht als sehr wichtig auffasst, eine unklassische Wichtigkeit.

Hat sich während des Drehs und im Schnitt viel verändert?

Eigentlich nicht. Der Film ist sehr nahe am Buch geblieben. Ein paar Dialoge sind improvisiert. Die improvisierten Momente haben eine schöne Lebendigkeit in dem sonst eher strengen Raum. Es war mir wichtig, dass eine Choreografie aus Bewegung und Lebendigkeit entsteht, die in Kontrast zum Stillstand gesetzt wird. Im Gegensatz zu den anderen Figuren ist die Mutter eher statisch angelegt. Viel lebendiger ist vor allem Clara, die kleine Tochter, die laut ist und schreit. Clara ist ein Körper des Lebens, und die Mutter ist eher ein Körper des Stillstands, der fast zum Tod hin tendiert. Es war mir wichtig, dieses Lebendige plastisch, im Gegensatz zur Mutter zu zeigen.

Wie sind die Choreografien entstanden? Wie habt ihr mit den Tieren gearbeitet?


Ich hatte während des Schreibens die ideale Wohnung für den Film im Kopf und wusste genau, wie die Raumaufteilung sein sollte, und wo zum Beispiel die Kaffeemaschine oder die Anrichte stehen sollten. Außerdem schwebte mir eine Choreografie vor, nach der die physischen Aktionen der Figuren ablaufen sollten. Da die reale Wohnung, in der wir drehten, der imaginären Modellwohnung nicht vollständig entsprach, mussten die Aktionen auf die Realwohnung und die Realwohnung auf die Aktionen angepasst werden. Eine ökonomische, gewissermaßen schlichte Montage war mir sehr wichtig. Sämtliche Aktionen mussten genau geplant sein, damit eine statische Kamera und eine geringe Schnittfrequenz möglich waren. Die Aktionen waren der Montage angepasst. Eine Konsequenz davon ist auch, dass das Off stark bespielt wird, was ich sehr mag. Ähnlich wie bei den Erinnerungsbildern lösen sich durch den Off-Raum Stimmen und Geräusche von den Figuren, so dass Dinge im Unsichtbaren geschehen. Es war auch festgelegt, an welchen Stellen die Katze und der Falter in diese Choreografie eingebettet sind. Eine Katze kann man nicht inszenieren. Wir haben immer so lange gewartet, bis die Katze dahin sprang,wo wir sie haben wollten. Wegen der Tiere waren wir gezwungen, von einem anstrengenden Drehrhythmus wegzukommen. Es waren fast meditative Situationen, in denen wir warteten, bis die Katze auf den Tisch
sprang.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Kameramann?
Alexander Haßkerl und ich hatten schon zuvor bei einem Kurzfilm zusammengearbeitet, und ich bin sehr froh, dass wir auch Das merkwürdige Kätzchen zusammen gemacht haben. Wir sind uns sehr ähnlich in unserer Haltung, im Vorfeld der Dreharbeiten möglichst keine verbindlichen Entscheidungen zur Bildgestaltung zu fällen.
Ich habe ein starkes Bedürfnis nach einer statischen Kamera, um die Bildkompositionen und das Aufteilen der Aktionen in die Bereiche On und Off-Screen genauer festlegen zu können. Vor dem Dreh haben wir das Drehbuch in Einstellungen aufgeteilt. Wenn sich in diesem Prozess zeigte, dass etwas Geschriebenes in der Umsetzung nicht funktionierte – weil es etwa zu viele Schnitte zur Folge gehabt hätte –, habe ich das Drehbuch umgeschrieben. Der Montagerhythmus hat also das Drehbuch mitgeschrieben.
Viele Details weisen auf eine unglaubliche Spannung in dieser Familie hin. Die Figuren sind vertraut miteinander, aber keiner hört dem anderen zu. Die Mutter ist die Figur, von der die größte passive Aggression ausgeht. Sie bricht zum Beispiel die Kommunikation mit den anderen durch den Einsatz des laut dröhnenden Mixers ab. Es gibt einen Moment, in dem der Dampfkochtopf zu explodieren scheint; dabei kommt eine Gewaltspitze zum Vorschein. Es gibt im Film einen Staffellauf von kleinen Demütigungen und Gewalttaten. Beim Schreiben des Drehbuchs entwickelte sich die Mutter zur Königin in diesem Reich. Sie lässt ihre Psyche auf andere Figuren und in den Raum ausstrahlen.
Die Sprache der Protagonisten schweift oft in Monologe ab. Ein Gegenüber geht nicht auf ein Angebot zum Dialog ein, und der Sprechende merkt, dass gerade kein Dialog entsteht. Die Sprache verbindet nicht  mehr, sondern wird pervertiert und macht die Figuren isolierter. Sie sind in ihrem eigenen Leben eingeschlossen, haben aber eine Sehnsucht, sich mitzuteilen, ihr Erleben und Erlebtes mit anderen zu teilen. Es fehlt ihnen aber das Organ, um dies zu leisten. Die Sprache funktioniert nicht mehr.

Interview: Cécile Tollu-Polonowski, Berlin, Januar 2013





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Credits                                                                           -Das merkwürdige Kätzchen

Deutschland 2013.
Regie, Buch, Schnitt: Ramon Zürcher

Kamera: Alexander Haßkerl
Kostüme: Dorothée Bach
Ton: Benjamin Kalisch
Musik: Thee More Shallows
Szenenbild: Matthias Werner, Sabine Kassebaum
Maske: Vivien Rahn
Herstellungsleitung: Myriam Eichler
Producer: Johanna Bergel, Silvan Zürcher

Produktion: dffb, Berlin, in Koproduktion mit Ramon und Silvan Zürcher und Alexander Haßkerl

Darsteller: Jenny Schily (Mutter), Anjorka Strechel (Karin), Mia Kasalo (Clara), Luk Pfaff (Simon), Matthias Dittmer (Vater), Armin Marewski (Schwager), Leon Alan Beiersdorf (Jonas), Sabine Werner (Tante), Kath-
leen Morgeneyer (Hanna), Monika Hetterle (Großmutter), Gustav Körner
(Nachbarsjunge), Lea Draeger (Frau auf Balkon)

Format: DCP, Farbe. Länge: 72 Minuten. Sprache: Deutsch.
Uraufführung: 11. Februar 2013, Forum der Berlinale

freigegeben ohne Altersbeschränkung (FSK-Prüfkarte)




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TRAILER






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